Der Schock: Psychothriller (German Edition)
gegriffen.«
»Geld war nie das Problem«, sagte Jan bitter. »Davon hatten sie mehr als genug.«
Der helle Kies knirschte unter den Reifen, als Katy den Cherokee auf den Parkplatz lenkte und hielt. »Und jetzt?«
Jan sah auf die Uhr. »Kurz vor drei. In einer guten halben Stunde haben wir einen Termin mit Dr. Breitner, dem Direktor von Nordholm.«
Katy sah ihn verdutzt an. »Du hast einen Termin? Wann hast du den denn gemacht?«
»Vorhin, als du die Schminke gekauft hast.«
»Und du hast auch sofort einen bekommen?«
Jan lächelte. »Ich habe gesagt, wir überlegen, unsere Kinder hier anzumelden, würden uns aber gerne vorher einen persönlichen Eindruck verschaffen. Da ich aber morgen für länger ins Ausland verreisen muss, geht es eben nur jetzt.«
»Ich wusste gar nicht, dass du Kinder hast.«
»Ich nicht, aber du. Ich hab mich mit deinem Namen vorgestellt. Ich hoffe, das ist in Ordnung.«
Katy blieb der Mund offen stehen. »Mein kleiner Bruder«, murmelte sie und warf ihm einen Blick zu, von dem er nicht ganz wusste, was überwog, Verärgerung oder Respekt.
Dr. Peer Breitner war ein großgewachsener Mann mit manikürten Fingern, vornehmem Teint und einem energischen schweren Kinn. Jan schätzte ihn auf Ende vierzig. Seine Haltung verhieß, dass er selbst im heißesten Sommer Anzug und Krawatte nicht ablegen würde.
»Herzlich willkommen auf Nordholm.« Seine blassblauen Augen musterten sie aufmerksam, als er ihnen die Hand reichte. Jan wunderte sich, warum er sie nicht mit Namen ansprach. Eigentlich gehörte das zum guten Ton. »Bitte setzen Sie sich doch.«
Jan und Katy nahmen vor einem Schreibtisch aus geweißter Eiche Platz, der Direktor auf seinem wuchtigen Ledersessel. Hinter ihm stapelten sich nach Farbe und Größe sortierte Bücher in einem wandhohen, fast fünf Meter breiten Regal. Vor ihm lagen ein paar wohlsortierte Unterlagen neben einer Designerleuchte aus den Siebzigern und der Bronzeskulptur eines gebeugten Mannes, der die Weltkugel auf dem Rücken trug.
»Ich schlage vor«, begann der Schulleiter, »Sie sparen sich Ihr Ammenmärchen und kommen direkt zum Punkt. Warum sind Sie hier?«
Jan, der gerade etwas hatte sagen wollen, hielt verblüfft inne. Er überlegte kurz. Seine einzige Chance war offenbar die Flucht nach vorn. »Ich habe ein paar Fragen zu einer ehemaligen Schülerin.«
»Sie meinen die Schülerin, die Sie in unserem Telefonat als Referenz erwähnt haben?«
»Ja. Laura Bjely«, antwortete Jan. Im selben Moment hatte er das Gefühl, dass es ein Fehler gewesen war, Laura überhaupt zu erwähnen. Vielleicht hatte genau das ihre Deckung torpediert.
»Ehrlich gesagt«, der Direktor schürzte die Lippen, »ich kann mich kaum an sie erinnern. Aber das Beste ist wohl ohnehin, wenn Sie sich an Laura Bjely direkt wenden. Als ehemalige Schülerin kennt sie sich hier ja bestens aus.«
»Das würde ich ja gerne tun«, entgegnete Jan. Er machte eine kleine Pause. »Aber sie ist verschwunden.«
Dr. Breitner ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. In seinem Gesicht war weder Überraschung noch Neugier zu lesen, nur Reserviertheit. »Dann wiederum würde ich es für angezeigt halten, dies der Polizei mitzuteilen.«
»Das hätte ich schon getan.« Jan lehnte sich demonstrativ vor. »Aber dann habe ich von einer Sache erfahren, die hier auf Nordholm passiert ist.«
Der Direktor runzelte kaum merklich die Stirn. »Welche Sache?«
»Es ist etwa 20 Jahre her.«
»Aha. Ich kann mich an keinen Vorfall erinnern.«
»Erinnern Sie sich wirklich nicht an Laura Bjely? Braune lange Haare, schlank, fast dünn, hübsches Gesicht. Sie war 14 Jahre alt, als sie hierherkam. Eine Anmeldung außer der Reihe. Sie hat im November in Berlin die Schule verlassen und ist hierher.«
»20 Jahre sagten Sie? Hören Sie, junger Mann, das ist viel Zeit. Seitdem waren viele Schüler und Schülerinnen hier. Ich war damals noch nicht einmal Direktor. Erwarten Sie im Ernst, dass ich mich an alles und jeden erinnere?«
Jan lächelte eisig. »Sehen Sie das Regal in Ihrem Rücken?«
»Bitte?«
»Die Bücher. Sie sind nicht alphabetisch geordnet, sondern nach Größe und Farbe.«
»Ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen.«
»Ganz einfach«, sagte Jan. »Jemand mit einem schlechten Gedächtnis ist darauf angewiesen, seine Bücher nach Alphabet zu sortieren. So findet man sie zuverlässig und schnell. Dagegen muss jemand, der seine Bücher nach Größe und Farbe sortiert, eine höhere Merkfähigkeit
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