Der Schockwellenreiter
auf seine Armbanduhr. Während der fast vollen Stunde, die er geschlafen hatte, mußte sich in seinem Geist etwas verbreitet haben, das mehr war als Ruhe. Stumm formten seine Lippen ein Wort und kosteten den Klang aus. Friede.
Aber.. .! Mit einem Ruck setzte er sich auf. Es gab keinen Frieden - es durfte keinen geben, konnte keinen geben! In der Hauptverwaltung der IIA mußte nun jemand vom Tarnover zwei und zwei addieren - nein, bereits addiert haben! Diese Person namens Sandy Locke, >als nationale Ressource übersehen^ mochte sich ganz gut als der verschwundene Nickie Haflinger erweisen. Er warf die Decke zur Seite und erhob sich, bemerkte jedoch zu spät, daß Kate nirgendwo zu sehen war, Bagheera jedoch vielleicht als Wächter zurückgeblieben, so daß. Aber dieser relativ komplizierte Gedanke verflüchtigte sich unter dem Ansturm eines neuen Schwindelanfalls. Bevor er nur einen Schritt fort von der Couch getan hatte, mußte er sich bereits mit einem ausgestreckten Arm gegen die Wand stützen. Woraufhin Kates Stimme aus der Küche drang. »Zeitlich glänzend abgestimmt, Sandy! Oder wie immer Ihr wirklicher Name lautet. Ich habe Ihnen gerade eine Kraftsuppe zubereitet. Hier.« Sie reichte ihm die dampfende Suppe in einer Schale, und behutsam nahm er die dementsprechend heißen Henkel. Aber er betrachtete als erstes nicht die Suppe. Er sah Kate an. Sie hatte sich umgekleidet und trug nun ein Sommerhemd in Blau und Gelb sowie gelbe Bermuda-Shorts, auf deren Gesäß sich das Blau in großen chinesischen Ideogrammen wiederholte.
»Was sagten Sie da über meinen Namen?« hörte er sich fragen. Ich hatte recht, dachte er zugleich. Für Frieden gibt es keinen Platz in dieser modernen Welt. Das ist eine Illusion. Es braucht nur einen Moment, und alles ist zusammengebrochen.
»Sie haben im Schlaf einiges geplappert«, erklärte sie und setzte sich in einen geflickten alten Sessel, von dem er erwartet hatte, daß sie ihn hinauswarf, den sie perverserweise jedoch behielt. »Ach, seien Sie so gut und hören Sie auf damit, so fürchterlich herumzuglotzen. Falls Sie sich dafür interessieren, wo Bagheera steckt, ich habe ihn hinuntergebracht. Die Mädchen kümmern sich für ein Weilchen um ihn. Und falls Sie eine Möglichkeit zur Flucht auszuspähen versuchen, dafür ist es noch zu früh. Nehmen Sie Platz und trinken Sie die Brühe.«
Von allen ihm offenen Alternativen schien das in der Tat die vernünftigste zu sein. In dem Augenblick, als er die Schale an den Mund hob, bemerkte er seinen entsetzlichen Hunger.
Sein Blutzuckerspiegel mußte stark gesunken sein. Außerdem fror er immer noch. Die Wärme der nahrhaften Brühe tat ihm gut. Nach einer beträchtlichen Weile vermochte er eine Frage aus einem Wort hervorzubringen. »Geplappert.?«
»Ich übertreibe. Vieles ergab auf Anhieb einen Sinn. Deshalb habe ich auch der IIA gesagt, Sie seien nicht hier.«
»Was?« Beinahe ließ er das Schälchen fallen.
»Behaupten Sie bloß nicht, ich hätte das Falsche getan. Das habe ich nämlich nicht. Ina veranlaßte, daß man mich anrief, als Sie nicht zu der Aussprache kamen. Nein, erteilte ich Auskunft, natürlich habe ich diesen Keiler nicht gesehen. Er kann mich doch nicht ausstehen. Ina dürfte das sofort geglaubt haben. Sie hat nie kapiert, daß Männer mich vielleicht mögen können, weil ich alles bin, was sie ihre Tochter nicht sein lassen wollte, vor allem intelligent, lernbegierig und schlicht. Sie ist niemals tiefer in die Persönlichkeit eines Mannes eingedrungen als sie's in Ihrem Fall getan hat: sieht gut aus, kann sich hören lassen, fühlt sich gut an, und ich kann ihn gebrauchen.« Sie lachte heiser, nicht ganz jenseits der Grenze zur Bitterkeit.
Er achtete nicht auf ihre Meinungsäußerung. »Was ist mir denn. äh. rausgerutscht?« wollte er wissen. Und bebte ein wenig, als er auf die Antwort wartete.
Sie zögerte. »Zunächst einmal. na, ich hatte irgendwie den Eindruck, daß Sie vorher noch nie von einer Reizüberladung gepackt worden sind. Kann das sein?«
Diese Frage war ihm schon von vielen Leuten gestellt worden. >Ja, ich glaube, ich gehöre zu denen, die soviel Glück haben<, hatte er immer geantwortet. Und war sich dessen sicher gewesen, damit die Wahrheit zu sprechen. Er hatte Opfer von Reizüberladungen gesehen; sie versteckten sich, brabbelten nur, wenn man sie anredete, oder schrien und schlugen um sich und die Möbel zusammen. Seine gelegentlichen Anfälle von Zittern, Krämpfen und Kältegefühl,
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