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Der Schönheitschirurg

Der Schönheitschirurg

Titel: Der Schönheitschirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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geschlossen war und die Luftangriffe für immer aufgehört hatten, übersiedelte sie nach London.
    Im neuen Jahr trafen sie sich am Bahnhof Charing Cross, wo er sie auf dem Bahnsteig durch den Dampf der Lokalbahn kommen sah und nervös überlegte, ob sie sich vor W. H. Smith’s Zeitungsstand ebenso leidenschaftlich an ihn hängen würde wie vor dem Sommerhaus des Sanatoriums. Unter den Augen der Eisenbahner ginge das nun wirklich nicht an. Sie jedoch küßte ihn höflich, erkundigte sich nach seiner Gesundheit und nach seinem Vater und sagte, sie hätte gern eine Tasse Tee.
    Über dem Marmortischchen in der Lyons’ Teestube entdeckte Graham mit einiger Enttäuschung, daß die Anziehungskraft Londons weniger in ihm selbst lag als in dem schon früher erklärten und immer noch dringenden Wunsch Ediths, sich zu verbessern. Sie lebte in einem Vorort mit dem erfrischend idyllischen Namen Hither Green bei ihrer Schwester, die den Verbesserungsprozeß schon hinter sich gebracht und den Kanzlisten eines Anwaltes in einem der Rechtskollegien des Temple geheiratet hatte. Der Kanzlist hatte für Edith eine Stelle als Schreibkraft in der Kanzlei eines benachbarten Rechtsanwalts gefunden: Mr. Wellingford - King’s Council, wie Edith betonte, da ihr diese weitläufige Verbindung mit dem Buckingham-Palast offenbar sehr schmeichelte. Ihre Liebe zu ihrer neuen Stelle schien so viel heißer als ihre Liebe zu Graham, und in der weniger erfrischenden Atmosphäre Londons schien ihre Beziehung nicht wunderbarer als die zwischen den anderen Büromädchen und Burschen rundum. Er hatte plötzlich panische Angst, sie zu verlieren, besonders da er ganz vergessen hatte, wie hübsch sie war. Er sagte ihr hastig, seine zukünftige Frau müsse in sein Heim kommen und die Familie kennenlernen. Hier war sie nun also, und der Professor hielt ihre Hand.
    «Die Tabatiere des Anatomen.» Der Professor füllte die Grube unter Ediths Daumen mit Salz. «Sehen Sie das kleine Dreieck? Es wird von den Sehnen der Muskeln extensor pollicis longus und extensor pollicis brevis gebildet.» Wenn er lächelte, wurden die Ränder seiner falschen Zähne unter seinem Schnurrbart sichtbar. Gesellschaftliche Plaudereien bestanden für ihn aus einer Reihe von anatomischen Witzen, die außerhalb des Seziersaales völlig unverständlich waren. «Falls es Sie nach Schnupftabak gelüsten sollte, könnten Sie jede Prise bequem darin unterbringen.»
    «Wer hätte das gedacht!» Edith schien direkt atemlos.
    «Ich werde alle meine anatomischen Kenntnisse brauchen können», unterbrach Robin. «Ich gehe bald nach Übersee, in eine Missionssiedlung, wo ich ganz auf mich allein angewiesen bin. Ich werde Internist, Chirurg und Geburtshelfer in einem sein. Eine schwierige, aber lohnende Aufgabe.»
    Ediths Augen wurden größer. «Werden Sie nicht von Kannibalen gefressen?»
    Alle lachten. Nur Graham wußte, daß sie es ehrlich meinte.
    «Viel eher werden mich die Moskitos fressen.» Robin ließ nichtsdestoweniger durchblicken, daß alle Kannibalen, die ihm in die Quere kommen sollten, nichts zu lachen hätten. Er wollte eben zu einem Vortrag über Frambösie ansetzen, aber der Professor kam ihm zuvor, indem er Edith hinterm Ohr kitzelte.
    «Sehen Sie!» rief er aus. Sie sah betroffen drein. «Ich habe Ihren ramus auricularis, den Ratsherrennerv, stimuliert. Durch seine Verbindung mit dem Vagusnerv, der vom Gehirn in den Unterleib geht, wissen Sie, regt er den Magen an, dieses vielgequälte Organ, sich zu entleeren. Die Londoner Ratsherren sollen ihn nach einem Bankett des Lord Mayor sehr praktisch finden.» Er lachte herzlich. «So erzählt man sich jedenfalls.»
    «Nein, so etwas!» Edith war überwältigt von den wissenschaftlichen Wundern, die für sie aufgedeckt wurden. «Wer hätte das gedacht?»
    «Es scheint mir recht optimistisch, den Reflex heute hervorrufen zu wollen», bemerkte Graham moros.
    «Diese Rationierung», seufzte der Professor. «Wird sie je aufhören?» Er nahm einen Schluck Wein, dessen größte Tugend es war, preiswert zu sein. Er unterhielt sich sehr gut. Schließlich hatte er keine weiblichen Patienten, die Schwestern am Blackfriars Hospital waren von seiner Abteilung so weit entfernt, wie Medizinstudentinnen noch eine Sache der Zukunft waren, und er hatte daher gar keine Gelegenheit, mit jungen Frauen zu sprechen. Doch konnte ihn ein zufälliges Wort von einem Mädchen im Autobus zum Glühen bringen, die Berührung junger Verkäuferinnen erwärmte ihn,

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