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Der Schönheitschirurg

Der Schönheitschirurg

Titel: Der Schönheitschirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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einzigen Zusammentreffen beim Sonntagsessen in Ramsgate so betrüblich fand.
    Beruflich gingen die Ideen der beiden jungen Chirurgen täglich weiter auseinander. Haileybury war der Sohn eines Pionieroffiziers in der Indischen Armee, der sich nach seiner Pensionierung im Jutehandel versucht und zu seiner größten Beunruhigung gefunden hatte, daß diese so gar nicht erregende Ware zu seiner raschen Verarmung führte. Später sang er das Loblied der einfachen, vertrauenswürdigen Soldatentugenden in die Ohren seines Sohnes, der sich bei sehr knappen Bezügen abmühte, sein Studium zu beenden, und fast sofort dadurch belohnt wurde, daß er die Rolle spielen durfte, die er ersehnt hatte - einen uniformierten Chirurgen. Als die Opfer des Krieges zu seinem Bedauern von den trivialeren Opfern der Friedenszeit abgelöst wurden, ging Haileybury trotzdem mit der Einstellung eines Militärarztes an die Arbeit. Graham war der Meinung, Haileybury bringe gleichermaßen die Einstellung einer Näherin und eines Stadtbaumeisters mit, obwohl er dies als wertvolles Gegengewicht zur Michelangelo-Haltung des Sarazenen anerkannte, zu der er selbst neigte. Für Graham war die plastische Chirurgie Kunst in Fleisch, Schöpfung im aufregendsten aller Medien. Für Haileybury bedeutete sie die prosaische Reparatur von Verletzungen und Deformierungen. Der Samen der Zwietracht, der zwischen ihnen im Sanatoriumssaal gesät worden war, gedieh auf diesem umstrittenen Boden zu einem stattlichen Baum, dessen starke Zweige sie beide ihr ganzes Leben lang überschatten sollte.
    Für den Augenblick aber tat Haileybury Graham einfach als überklug ab.
    «Warum nähen Sie nicht die beiden freien Ränder des Transplantats zusammen?» fragte ihn Graham eines Nachmittags im Operationssaal.
    Das Transplantat war ein dicker, fünf Zentimeter breiter und fünfzehn Zentimeter langer Hautlappen, der von der Schulter des Patienten abgehoben worden war. Ein Ende blieb noch mit der Schulter verbunden, das freie Ende schloß einen Krater in der Wange des Mannes. Er war ein kanadischer Offizier, dessen Unglück vor zwei Jahren bei Vimy begonnen hatte, von der Sepsis verschlimmert worden war und jetzt endlich zu Ende ging.
    «Zusammennähen?» Haileybury führte seinen Nadelhalter die wunden Ränder hinauf und hinunter. « Wozu? »
    «Weil es helfen würde, die Blutzufuhr des Transplantats zu erhalten, das Risiko einer Sepsis zu vermindern und, was wichtig ist, für den Patienten weniger schmerzhaft wäre.»
    Haileybury dachte ein paar Augenblicke lang darüber nach. «Nein», entschied er. «Man hätte zuletzt eine Art septische Wurst. Das ganze Transplantat würde sich in einer Woche abschälen.»
    «Aber sehen Sie nicht, daß sich die beiden Enden zusammenrollen wie eine Pergamentrolle?» Graham gab nicht auf. «Sie bitten förmlich darum, zusammengefügt zu werden.»
    «Legen Sie bitte die Verbände an, Trevose», sagte Haileybury und schloß sowohl die Operation als auch die Diskussion ab.
    «Würden Sie mich nicht drei oder vier Stiche machen lassen?» bat Graham. «Wir können sie sofort herausnehmen, wenn sich irgendein Anzeichen von Infektion zeigt. Tun Sie mir doch den Gefallen.»
    «Ich weiß noch gut, wann Sie mich das letztemal um eine Gefälligkeit baten.» Haileybury zog seine Handschuhe aus. «Sie wollten eine Leibschüssel.»
    Im Juni 1919 konnte Graham die Transplantate zusammennähen, soviel er wollte. Irgendeine Bewegung in der geheimnisvollen Maschinerie des Kriegsministeriums führte zu Haileyburys Entlassung aus der Armee, was ihn selbst ebenso überraschte wie den Sarazenen. Da Haileybury aus dem Weg war, ließ der Sarazene Graham allein operieren, zwar verhältnismäßig kleine Eingriffe, aber doch ungeheuer schmeichelhaft für seine untergeordnete Stellung. Die Entdeckung, daß er eine Begabung für das Handwerkliche in der Chirurgie hatte, für Schneiden, Nähen und Neugestalten, war für ihn ungeheuer erregend und gewährte ihm eine Befriedigung, die für viele Stunden des Tages alles andere samt Edith aus seinen Gedanken verbannte. Jetzt, da er auf eigenen Füßen stand, waren alle Zweifel, ob er in seinem Fach an die Spitze kommen würde, zerstreut. Er hatte Selbstvertrauen, was für einen jungen Chirurgen ebenso wichtig ist wie für einen jungen Politiker oder einen jungen Faustkämpfer. Aber Grahams Dank für die Erlösung von seinem essigsauren Aufseher war kurz. Einen Monat später erklärte der Sarazene mit außerordentlichem Bedauern,

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