Der Schönheitschirurg
fliegen nach Indien weiter. Es braucht nur sechsunddreißig Stunden nach Kairo, müßt ihr wissen. Sechsunddreißig Stunden. Stellt euch das vor!»
Edith rang nach Luft. «Graham! Glaubst du, daß es wirklich ungefährlich ist?»
Er grinste. «Du kannst doch nicht erwarten, daß ich vor einer bequemen Fahrt in einem fliegenden Hotel auskneife, wenn Amy Johnson in ihrem winzig kleinen Aeroplan ganz allein nach Australien fliegt! Außerdem kommt der Luftfahrtminister mit. Ich kann mir keine bessere Sicherheitsgarantie vorstellen.»
«Es macht über hundertzehn Stundenkilometer und hat fünf Motorgondeln», unterbrach Desmond eifrig. Seit er von dem bevorstehenden Abenteuer seines Vaters wußte, war er ein Experte für Luftschiffe geworden. «Wenn es abstürzt, drücken sie auf einen Knopf und schneiden alle Treibstofftanks mit besonderen Messern auf. Ich sah es bei einer Flugparade über Hendon», sagte er stolz, zu Alec gewandt. «Es ist so lang wie die Mauretania.»
«Ich fuhr einmal mit der Mauretanian , bemerkte Maria, mehr zu sich selbst. «Als mich mein Vater vor dem Krieg nach Amerika mitnahm. Es war eine sehr vergnügte Fahrt, aber damals machten natürlich alle viel Wesens um uns.» Sie fröstelte. «Graham, das Fenster ist offen.»
Plötzlich wurde Alec weiß im Gesicht und rang nach Atem. Die Konversation verstummte.
«Ach Gott! Er hat wieder einen Anfall», sagte Edith entschuldigend.
«Bronchialasthma», erklärte Robin.
Graham war bestürzt. Wie bei allen Chirurgen waren seine Kenntnisse der reinen Medizin geschrumpft wie ein ungebrauchtes Glied, aber er erinnerte sich, daß das Leiden durch einen Krampf der feinen Bronchialäste unter irgendeinem verderblichen Einfluß aus der Luft oder der Psychologie, der bisher der Weisheit der Doktoren entgangen war, ausgelöst wurde. Erst vor einer Woche war ein junges Mädchen in Blackfriars im status asthmaticus gestorben, trotz Sauerstoff, Kampferinjektionen und zwei Professoren.
«Willst du Adrenalin?» fragte er besorgt, obgleich, nach der Ruhe der Eltern zu schließen, das arme Kind ziemlich oft unter Beschuß zu stehen schien. «Ich habe welches in meiner Tasche, zum Mischen mit Lokalanästhetika.»
«Eine Tablette Ephedrin wird ihn in Ordnung bringen.»
Robin holte ein schmieriges Kuvert aus seiner Brusttasche und reichte dem keuchenden Jungen eine kleine weiße Tablette, als gebe er ihm eine Süßigkeit. Ohne ein Wort, ohne auch nur einen Schluck Wasser nahm sie Alec pflichtschuldig. Desmond sah fasziniert zu. Er hatte nichts so Aufregendes gesehen, seit das Mädchen in der Küche unter einen kochenden Wasserkessel gefallen war.
«Ein Asthmaanfall ist für die Zuschauer immer erschreckender als für den Betroffenen», erklärte Robin.
«Wie traurig, in seinem Alter krank zu sein», sagte Graham mitfühlend. Es fiel ihm plötzlich auf, wie sehr Desmond Robin und der schmächtige kleine Alec ihm selbst ähnelte. Sein Kopf summte vor Zahlen, als er eine Überschlagsrechnung anstellte. Nein, es war ganz unmöglich, er und Edith hätten es nicht fertiggebracht, selbst wenn sie ein Elefantenpaar gewesen wären. Nun gut, sagte er sich, die Vererbung ist so voll von Überraschungen wie jedes andere im Dunkel gespielte Spiel, und wenn die menschliche Rasse ihre Fortpflanzung so ernst nimmt, muß die Natur ab und zu ihren Spaß an der Posse haben. Maria, die die Störung gar nicht zur Kenntnis genommen hatte, läutete ihre Tischglocke nach dem Mädchen und sagte: «Krankheit ist in jedem Alter traurig.» Dann begann Robin über tropische Medizin zu sprechen, beschränkte sich aber auf die klinischen Aspekte. Es schien Graham, daß sein Bruder und Gott seit den Tagen in Hampstead irgendwie auseinandergekommen waren.
Nach dem Mittagessen zog sich Maria sofort wieder in ihr Bett zurück, und Desmond bestand darauf, daß Alec und Robin seine Modelleisenbahn bewundern müßten, die in ihrer ganzen Verzweigtheit in einem Hinterzimmer aufgebaut war. Es war erst kürzlich von seinem Kinderzimmer zu seiner «Bude» avanciert. Graham führte Edith in sein kleines Arbeitszimmer neben der Haustür. Sie waren fast zum erstenmal allein seit jenem Nachmittag, da der Bettknauf des Professors heruntergefallen war.
«So viele Bücher!» rief Edith aus. «Ganz wie in dem alten Haus in Hampstead.»
«Wo ich jetzt von Rechts wegen wohnen sollte.» Graham lächelte. «Wo du jetzt von Rechts wegen wohnen solltest. Mit mir.»
«Ja, vielleicht.» Die Anspielung schien sie
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