Der Schönheitschirurg
Selbstmordversuch wissen - falls sie mit dem Versuch davonkamen. Das Tal des Todesschattens, aus dem John Maria errettet hatte, führte nur zu weiteren Schatten - Herzversagen, Bronchopneumonie oder verzögerter Kollaps. Wenn das öffentliche Aufsehen einer gerichtlichen Untersuchung...
«Ich denke, wir können sie jetzt zu Bett bringen», sagte John Bickley.
Die beiden Schwestern legten Maria auf einen Krankenwagen und brachten sie hinauf in ein Privatzimmer. Vor der Ambulanz
wartete Robin immer noch. «Du, es ist sehr spät», sagte er zu Graham. «Der Zug nach Bedford ist schon fort.»
«Ich fahre nicht.»
«Aber du willst doch den Flug nicht versäumen? Nach all den Vorbereitungen?» sagte Robin verärgert. Sollten seine wertvollen Ratschläge für Grahams Ausrüstung und Gesundheit alle umsonst sein? «Sie wird doch jetzt in Ordnung sein, nicht wahr? Edith und ich können hierbleiben und uns um alles kümmern. Wir können einen Wagen nehmen, der dich zum Luftschiff bringt. Du kommst immer noch rechtzeitig.»
«Kommt nicht in Frage. Überhaupt nicht in Frage. Ich muß bei ihr bleiben. Ruf Val Arlott an - er ist in Cardington und wartet auf mich. Sag ihm, meine Frau ist ernstlich krank. Er wird mich bei Sir Sefton Brancker und den anderen entschuldigen müssen.»
«Nun ja, es ist schließlich deine Sache», stimmte Robin verdrießlich zu. «Aber es ist ein endloses Geschäft, in dieses Cardington durchzukommen. Wo, zum Kuckuck, finde ich die Telefonnummer?»
Sie brachten Maria zu Bett, immer noch mit hochgelagerten Beinen, um zu verhindern, daß ihre eigenen Sekretionen ihre Lungen füllten und sie ertränkten. Sie legten Reihen von Wärmeflaschen wie saugende Ferkel an ihre Seiten und ließen Graham mit ihr allein. Der Tag wurde vor der Zeit dunkel, Regen begann gegen die Fenster zu peitschen. Schwestern kamen und gingen, aber er bemerkte sie kaum. Er rauchte Zigaretten, bis seine Packung leer war. Er saß und starrte durch das kleine Zimmer auf seine Frau, ihr weißes Gesicht mit offenem Mund, das das schwache Licht einer Nachttischlampe erhellte.
Der Augenblick schien gekommen, da er wirklich entscheiden sollte, ob er sie liebte oder nicht. Zugegeben, sie war auch zu ihren besten Zeiten kaum eine attraktive Gefährtin. Er dankte Gott oft, daß ihre Zurückgezogenheit es ihm ersparte, sie vor seinen Freunden verbergen zu müssen. Doch desillusionierte ihn seine Arbeit immer mehr über den Wert der Schönheit. Wie viele Frauen waren nicht schon mit Falten, schlaffen Lidern oder häßlichen Nasen zu ihm gekommen, damit er durch einen Wink mit dem Skalpell ihre Ehen zauberhaft verwandle? Und wie oft hatte die Operation der Frau auch nur den geringsten Einfluß auf den Mann? Nicht ein einziges Mal, soviel er wußte. Nun, einmal doch, überlegte er. Die Operation war ein solcher Erfolg gewesen, daß die Frau mit einem anderen Mann durchging und den Gatten wütend zurückließ, der dann mit einem Prozeß drohte.
Er nahm ein leeres Blatt Papier aus Marias Notizmappe und schrieb: Überschrift: «Geschichte des gegenwärtigen Zustandes». Darunter setzte er: «Vor zehn Jahren heiratete ich Maria, aus einer Mischung von Impulsivität, Ehrgeiz, Selbstgefälligkeit, Enttäuschung und mangelndem mütterlichen Einfluß während der Entwicklungsjahre. Dazu natürlich das Bedürfnis nach regelmäßiger sexueller Betätigung.» Er überlegte plötzlich, was wohl aus Brenda mit ihrer überlangen Zigarettenspitze geworden sein mochte. Er schien sie irgendwie während des Generalstreiks aus den Augen verloren zu haben. «Vor ein paar Stunden war ich von der tragischen Möglichkeit des Todes meiner Frau überwältigt. Vergleiche: ihre Entbindung 1921.» Nach einer Pause fügte er hinzu: «Oder von meiner eigenen Verantwortung in beiden Fällen?» Er zerknüllte das Blatt und stopfte es in seine Tasche. Es war wirklich eine schwierige Diagnose. «Warum bin ich nicht ein besserer Mensch?» fragte er sich. «Mein Gott, warum bin ich nicht ein besserer Mensch?»
Er hatte diese anklagende Frage schon häufig gestellt, und die innere Stimme klang immer überaus pathetisch.
Irgendwann während der Nacht erlangte Maria wieder das Bewußtsein.
«Graham ...!» Sie hielt ihm die Hand entgegen.
Er trat zu ihr. «Mein Liebling, es geht dir schon besser.»
Ohne den Kopf von dem kissenlosen Bett zu heben, blickte sie sich in dem kleinen weißen Raum um. «Was ist geschehen? Wo bin ich?»
«Du bist im Krankenhaus. Du warst krank. Du
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