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Der Schönheitschirurg

Der Schönheitschirurg

Titel: Der Schönheitschirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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fand und die auf ein Ziehen an der dicken, durch ihren Kopf laufenden Schnur steif wurde. Als Erwachsener fand er diese Selbsteinschätzung seines Charakters ziemlich korrekt.
    «Angespannt, so?» sagte der Alte Hosenknopf düster. «Ich nehme an, die gute Luft und das regelmäßige Leben wird ihm überaus guttun. Hm? Haha! Es hat schon bei viel schwächlicheren Knaben Wunder gewirkt. Hm, hm? Was? Hahaha!»
    Der Alte Hosenknopf lachte ständig. Manchmal dröhnte abends der Lärm aus seinem Haus durch die stillen Schlafräume. Manchmal brach es auch aus ihm, während er eine obskure Bibelstelle an der Tafel erläuterte oder die nächste Hymne aus seinem Gesangbuch ansagte. Da alle Knaben sein Lachen imitieren konnten, lief es manchmal wie Hysterie durch ein unbeaufsichtigtes Klassenzimmer, alle krähten wie aufgeschreckte Hähne, bis die Ankunft eines Lehrers und unerhörte Strafen sie unterdrückten. Alec fand, daß es Leben in die Schule brachte.
    In seiner zweiten Woche in der Schule stahl Alec eine Karotte.
    Die appetitanregenden Qualitäten der berühmten Luft verfehlten ihre Wirkung auf ihn hauptsächlich deshalb, weil die Verpflegung in der Schule zwar ausreichend, aber nicht immer eßbar war. Es gab in erster Linie Kohlehydrate in Form von mit Margarine bepinseltem Brot, mit der Schale gerösteten Kartoffeln, wobei gelegentlich auch ein Großteil der anhaftenden Erde mitgeröstet wurde, selbstverständlich Reispudding und getrocknete Butterbohnen, die unerwartete Proteine in Gestalt von ein oder zwei toten Maden enthielten. Freitags gab es als besondere Begünstigung Fisch und am Sonntagmorgen vor dem Kirchgang ein gekochtes Ei, doch wenn einer der Knaben ein schlechtes erwischte, war das sein Pech, denn Ersatz gab es nie.
    Alec bemerkte die starken roten Schultern der Karotten im Garten des Direktors auf dem Weg zum Fußballplatz. Er war allein. Er zog eine heraus, wischte sie an seinem Pullover ab und aß sie. Nichts schmeckte ihm je wieder so wundervoll.
    Als er schlau das federige Kraut zurücksteckte, wurde er von der hageren Frau des Direktors beobachtet, die eben im Badezimmer ihr Haar wusch. Nach dem Tee wurde er ins Arbeitszimmer beordert. Es war seit seiner Ankunft das erste Mal, daß er das Herrenhaus betrat. Mit seinem hübschen, von einer Feuersteinmauer umgebenen Garten, der nach Robins und Ediths Meinung den korrekten englischen Hintergrund für Alecs Erziehung abgab, war es für die Zöglinge so unerreichbar wie der Buckingham-Palast.
    «Trevose, du hast eine Karotte gestohlen.» Der Alte Hosenknopf drehte sich auf seinem Stuhl von seinem Zylinderschreibtisch weg, um den Sünder besser betrachten zu können. Alec fand das Arbeitszimmer schon ohne den Direktor einschüchternd genug, mit seinen bedrohlichen Regalen voll religiöser Bücher und seinen Fotografien unangenehm blickender geistlicher Herren. Diese brillante Detektivarbeit verschlug ihm vollends die Sprache. «Hm, was?» fragte Hosenknopf. «Haha!»
    Alec stimmte mit einem schüchternen Lächeln in die Fröhlichkeit ein.
    «Was ist daran lustig, junger Mann? Treibst du deinen Spott mit mir? Du hast das achte Gebot gebrochen», erklärte der Direktor und hob die Schandtat damit über bloße Karotten hinaus. «Beug dich über die Lehne dieses Stuhls. Hahaha, haha!»
    Aus einem Eckschrank, von dessen furchtbarem Inhalt Alec von seinen Kameraden mit Genuß unterrichtet worden war, wählte der Alte Hosenknopf einen starken Bambusstab und schlug ihn sechsmal. An diesem Abend entdeckte Alec, daß das Lachen des Direktors ein nervöses Leiden war, das ihn in Augenblicken seelischer Spannung überfiel, ähnlich wie Stottern. Es war seine erste Ernüchterung über die menschliche Natur.
    Das Etablissement versuchte schon lange nicht mehr, die Welt zu überzeugen, daß es einer guten Privatschule auch nur ähnelte, und wurde nun auch des Versuchs müde, sich selbst zu überzeugen - vielleicht aus dem Bewußtsein heraus, ebenso wie Dotheboys Hall dem Untergang geweiht zu sein. Die Lehrer wechselten oft und unter mysteriösen Umständen, die großen Knaben tyrannisierten die kleinen, und die Kleineren rissen lebenden Schmeißfliegen die Beine aus. Alec litt sofort unter dieser Quälerei, weil er jenen schreckeneinflößenden Versammlungen der ganzen Schule nach unnachweisbaren Missetaten wie Schnitzereien auf den Schreibtischen oder leisem Windlassen während des Gebets völlig ahnungslos gegenüberstand, wo der Schuldige zum Geständnis

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