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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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Atmen.
    »Wer ist da?«, fragte er in die Leere hinein, und die Leere antwortete nicht, schlich sich nur von hinten an, schlich in sein Herz und seinen Kopf, bis er sich nicht mehr wirklich lebendig fühlte, sondern nur noch wie eine Hülle für sein Unbehagen und seine lächerlichen Sorgen.
    Er versuchte, sich den Zuhörer am anderen Ende der Leitung vorzustellen, und sah Lóa vor sich, auf einem Chesterfield-Ledersofa bei sich zu Hause, im Unterkleid und mit ungekämmtem Haar. Sie trommelte mit den Fingern auf den Sofarücken und hörte, wie er sich wiederholte (hallo … hallo) wie ein automatischer Affe im Vergnügungspark.
    »Was willst du eigentlich von mir?«, sagte er und hätte fast ihren Namen genannt, ihr gesagt, es sei alles in Ordnung. »Sag mir, wo du wohnst«, wollte er sagen. »Gib mir deine Adresse, dann komme ich und hole die Puppe ab, und wir vergessen das Ganze.« Aber er spürte, dass niemand zuhörte, nahm den
Hörer vom Ohr, schaute aufs Display und sah, dass die Verbindung abgerissen war.
    Nein, er hatte nicht direkt Angst, musste aber notgedrungen der Tatsache ins Auge schauen, dass er einen Stalker hatte, wie berühmte Leute. Einen weiblichen Stalker, der ihm anonyme Drohungen schickte und anrief, um seine Stimme zu hören oder ihn nervös zu machen. Er hatte tatsächlich an Ansehen gewonnen. Stalker waren doch ein Statussymbol, oder nicht? Und weibliche Stalker waren wesentlich seltener und daher bemerkenswerter als ihre männlichen Kollegen.
    Er spulte noch einmal seinen imaginären Film von Lóa auf dem Chesterfield-Sofa ab und lachte über das Unterkleid, mit dem er sie ausstaffiert hatte. Frauen trugen keine Unterkleider, außer vielleicht in alten Kinofilmen. »Als Nächstes hält sie noch eine Zigarettenspitze in der Hand und trägt Lidschatten, der sich bis zu den Schläfen zieht«, dachte er.
    Er kratzte sich am Scheitel wegen des Zeugs aus der Glühbirnenfassung und überlegte, duschen zu gehen. Oder hatte er vorher noch andere Drecksarbeit zu erledigen, wo er schon mal schmutzig war? Doch, er musste das Bad putzen, vor allem das Waschbecken und die Toilette. Aber erst sollte er noch die Glühbirne im Schlafzimmer auswechseln, obwohl er sich kaum erinnern konnte, dort jemals das Licht eingeschaltet zu haben, seit er eingezogen war.
    Im Schlafzimmer gab es keinen Stuhl, auf den er steigen konnte, nur einen Wäschekorb aus Bast, der ihm bis zum Knie reichte. Das weiche Holz wirkte nicht besonders stabil, aber wenn er sich anstrengte, würde er das Gleichgewicht schon halten können.
    Er drückte ein paar Mal auf den Lichtschalter, ohne eine Ahnung zu haben, ob er ihn aus- oder einschaltete. »Ene, mene,
miste, es rappelt in der Kiste«, murmelte er und schaltete bei jedem Wort ein oder aus. »Ene, mene, muh, und raus bist du.«
    Dann stellte er den Korb in die Mitte des Zimmers und stieg darauf. Seine Beine zitterten wie bei einem neu geborenen Fohlen, als er sich anschickte, das Spiel von vorhin zu wiederholen: sich dicht neben der kaputten Fassung abzustützen und vorsichtig die Birne herauszudrehen.
    Das Gewinde war gerade halb draußen, als seine Finger von einem blauen Blitz getroffen wurden und ein lähmender Schlag durch seinen Arm fuhr. Er wusste nicht, ob er zur Seite geschleudert wurde oder nach vorn fiel, aber der Boden raste auf seinen Kopf zu, ein vollkommen irrealer Boden, spottbilliges Plastikparkett. Wer auch immer diesen Fußbodenbelag ausgesucht hatte, dem war das Haus scheißegal gewesen, und dem war auch dieser ihm unbekannte Idiot scheißegal, der sich womöglich die Nase brechen würde, wenn er mit voller Wucht auf den Boden krachte.
    Sveinn besaß noch nicht mal die Geistesgegenwart, sich mit den Händen abzustützen, denn nichts von alldem geschah wirklich, bis er das Knacken in seinem Knie hörte und den donnernden Schlag, als sein Oberkörper auf dem Boden krachte. Seine Stirn schlug einmal auf der lackierten Fläche auf, und dann wurde alles still. Nur die Möwen vor dem Fenster schrien weiter, und seine Kleider raschelten leise, als er versuchte, sich zu bewegen.
    Nach und nach wurde der Schock von Schmerz abgelöst: Seine Schulter und sein Knie korrespondierten miteinander wie Morsegeräte im Ersten Weltkrieg, und sein Kopf schien unter einer schweren Last festzuklemmen. Seine rechte Hand war unversehrt, und Sveinn tastete damit in der Luft über seinem Kopf herum, um sicherzugehen, dass der Kleiderschrank
nicht auf ihn gestürzt war, oder gar die Wand,

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