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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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verspreche es dir, Ehrenwort. Du hast noch die ganze Woche Zeit zum Üben, du fährst ja erst am Freitag zu Papa. Und jetzt kein Wort mehr darüber.«
    Ína streckte die Zunge heraus und stieß einen langgezogenen Pupslaut aus, bevor sie die Cocoa-Puffs-Packung aus dem Schrank holte und eine volle Eineinhalb-Liter-Milchtüte aus dem Kühlschrank heranschleppte.

    Lóa überließ sie sich selbst, wanderte ins Wohnzimmer, strich mit dem Zeigefinger über ein Bücherregal, betrachtete den Staub, der eine gerade Linie hinterlassen hatte und an ihrem Finger haften blieb, versuchte, ihn wegzupusten, aber das meiste klebte fest. Sie wischte die Hand an ihrem Bauch ab und tat so, als sehe sie den hellen Streifen nicht, der auf ihrem dunkelblauen Angorapulli haften blieb.
    Dann schlich sie durch den Flur zu Margréts Zimmertür und lehnte die Stirn an das dunkle Holz. Sie hörte Margrét murmeln, ohne ein Wort verstehen zu können.
    »Wie denn?«, hörte sie Björg sagen und ärgerte sich, weil ihre Stimme viel kräftiger und jünger klang als Margréts.
     
    Später saßen Lóa und Björg mit halbvollen Tassen kaltem Kaffee, eingetrocknetem Schinken, angegilbtem Käse und einer weißen Kanne mit Milch, die aufgekocht, aber schon längst nicht mehr heiß war, am Esstisch. Margrét lernte in ihrem Zimmer, und Ína spielte draußen im Garten mit ihrer Freundin, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnte.
    Lóa hatte bereits ausufernde Erklärungen für den Puppendiebstahl abgegeben und meinte zu sehen, dass Björg ihr Urteil hinauszögerte. Dass sie noch nicht sofort entscheiden wollte, ob sie das für eine geniale Lösung oder eine unüberlegte Kurzschlussreaktion hielt.
    Die Sehnsucht nach Anerkennung trieb Lóa an weiterzureden, weiter und weiter, bis Björg mit einem Strahlen in den Augen aufschauen und sagen würde: »Ich verstehe. Natürlich gab es keine andere Möglichkeit. Margrét braucht sie mehr als jeder andere, das rechtfertigt deine Tat vollkommen.«
    Aber Björg sagte nichts dergleichen, und in ihren Augen lag kein Strahlen, sondern nur etwas, von dem Lóa nicht wusste,
ob es Langmut oder Hoffnungslosigkeit war. Und als Lóa durch das surrende Klopfgeräusch in ihren Ohren hörte, dass sie sich wiederholte wie ein Mensch in einer ausweglosen Situation, presste sie nervös schweigend den Mund zusammen.
    Eine Frage lag in der Luft, die sie selbst formulieren musste. Sie schaute zu Björg, die ihren nackten Fuß auf die Stuhlkante gestellt, ihr jeansbekleidetes Knie unters Kinn gezogen und ihren Kopf auf ihr Knie gestützt hatte, immer noch von flatternden Libellen umgeben. Sie sah ganz harmlos aus. Sie sah so aus, als wüsste sie, dass Lóa es nicht ertragen konnte, alles zu hören, oder dass es zumindest wichtig war, wie es gesagt wurde. Endlich fragte Lóa: »Was hat Margrét gesagt?«
    Björg seufzte, ließ ihren Fuß wieder auf den Boden gleiten und sagte dann: »Erst war sie zerknirscht und meinte, sie hätte sich nicht blutig beißen wollen. Sie hätte einfach diese schlechte Angewohnheit, ihre Nagelhaut anzuknabbern, und es sei fast schon keine Haut mehr da. Es schien ihr deinetwegen sehr leid zu tun, aber vielleicht hatte sie auch nur Angst, dass sie eine größere Portion essen müsste, um die Kalorien aus diesem einen Blutstropfen wieder auszugleichen«, sagte Björg und versuchte zu grinsen.
    Lóa musste lachen. Das war so erbärmlich, dass man fast verpflichtet war zu lachen.
    »Sie hat ein bisschen geweint und gesagt, sie wäre ein totaler Loser, aber sie könnte einfach nichts dagegen tun«, sagte Björg. »Ich habe sie gefragt, wie sie sich fühlt und warum sie so mit sich umgeht. Ich hab einfach so ins Blaue hineingefragt, nur, um irgendwas zu sagen, und nicht mit einer vernünftigen Antwort gerechnet. Aber die Arme hat es versucht. Sie hat versucht, es mir irgendwie zu erklären.«
    Lóa wartete wie eine Verurteilte und starrte in ihre Kaffeetasse.
Auf die hellbraune Milchhaut am Boden der Tasse, die an dem Porzellan hochzukriechen schien. Björg schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und sagte: »Jetzt mach doch nicht so ein Gesicht! Sie ist in guten Händen. Wir passen auf sie auf, und die ganze Krankenhausbelegschaft passt auf sie auf.«
    Lóa lächelte ein clownhaftes Pseudolächeln, bei dem sie sich fühlte, als sei ihr Gesicht schlaff und klebrig.
    »Aha«, lachte Björg, »sieht schon viel besser aus. Ich kann dir nicht genau erzählen, was sie gesagt hat, es war ziemlich wirr.

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