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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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Lenkrad, außer, wenn er nur mit den Kuppen von Daumen und Zeigefingern lenkte, um sie zum Lachen zu bringen. Manche Fahrgäste bemerkten sie erst, wenn sie sich zum Bezahlen vorlehnten, so klein und brav war sie. Und still, wenn sie gedankenverloren aus dem Fenster schaute, auf die Häuser und Straßen, die Autos, die Leute, die Hunde und die Enten auf dem Stadtteich. Andere Fahrer wirkten unsicher und zerstreut, sogar orientierungslos im Vergleich zu ihrem Vater, der die Straßennamen in den neuen Stadtvierteln schon kannte, wenn sie noch ein Matschfeld mit abgesteckten Grundstücksgrenzen waren.
    Wenn er die Scheine entgegengenommen hatte, wirkten sie in seinen Pranken klein und wertlos, das Papier knittrig und hauchdünn. Dann gab er sie ihr, sie hatte die Tasche auf dem Schoß und war schon bald wesentlich geschickter als er, das Wechselgeld herauszugeben. Er brauchte immer lange, um die Münzen rauszusuchen; man hatte den Eindruck, dass sein gewölbter Bauch ihm die Sicht nahm und dass die Nervenimpulse, die in seine Finger gelenkt werden sollten, irgendwo zwischen seinen Schultern, die breiter waren als der Autositz, verloren gingen. Die Fahrgäste sagten immer, sie sei so gut im Kopfrechnen, sie solle Kassiererin bei einer Bank werden, wenn sie groß wäre.
    »Oder Bankdirektorin«, hatte ihr Vater an einem schönen, frostfreien Sonnentag eingeworfen.
    Der Fahrgast, ein buckeliger Mann in einem braunen Wollmantel, hatte herzlich zugestimmt: »Genau, was sage ich denn? Wir können keine bessere Bankdirektorin kriegen als diese junge Dame.«
    Dann hatten sie sich über die Lage der Nation und die Situation
in der Notenbank unterhalten und nicht gemerkt, wie Lóas Gedanken vor dem unverständlichen Gerede Reißaus genommen hatten und hoch über die Hausdächer geflogen waren. Hinauf in den Himmel, der klarer und blauer war als jeder Reklamehimmel.
    Lóa war gut in ihrem Job, und noch vor wenigen Monaten war die Arbeit ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens gewesen. Jetzt musste sie sich anstrengen, um sich an die Projekte zu erinnern, die halbfertig liegengeblieben waren, nachdem sie sich beurlauben lassen hatte. Sie hatte sich immer nur in der Arbeit richtig wach gefühlt, und wenn sie zufällig einmal nicht im Büro war, widmete sie sich in Gedanken bereits ihren neuen Ideen, die sich in ihrem Inneren aufgestaut hatten: zunächst hässlich, grob und furchtbar armselig, bis die Welle in ihrem Kopf sie polierte. Danach waren sie strahlend perfekt und weckten in den Herzen einfacher, abgespannter Menschen, die auch Anteil an makelloser Schönheit haben wollten, eine Sehnsucht. Wobei die Schönheit nur die Öffnung einer Tür und ein Versprechen für eine andere Art von Glück dahinter war. Eine andere Art von Glück, wie sah das aus? Das war ihre Aufgabe, diese Frage halbwegs plausibel zu beantworten und eine vage Idee von diesem Wie zu vermitteln.
    Ja, das war ihre Aufgabe gewesen, aber das war jetzt vorbei.
    Sie griff nach dem Glas mit dem Energiedrink, es war schon lauwarm. Margrét ekelte sich vor allem, was lauwarm war. Im Gefrierfach lag ein rosa Eiswürfelbehälter mit Fächern in Herzchenform. Er war fast leer, nur noch zwei Herzchen übrig, aber die mussten reichen. Lóas Hand wurde auf der kurzen Strecke zum Glas vor Kälte taub. Sie wischte ihre nasse Hand an ihrem Rock ab, rührte mit einem Messer um und machte sich mit dem randvollen Glas vorsichtig auf den Weg zu Margrét.

    Eine seltsame Erschöpfung und Starre machte sich hinter ihren Augen bemerkbar, und sie verdrehte sie, schnitt eine Grimasse, um die Anspannung zu vertreiben, und sah sich auf einmal in der Rolle der Bedienung auf dem Plattencover von Breakfast in America von Supertramp. Das Nylonkleid über den Brüsten zum Bersten gespannt, das sonnengebräunte Gesicht von einem strahlend weißen, bemitleidenswerten Lächeln entstellt. Fehlten nur die Schürze und das Tablett.
    Björg war aufgewacht und räkelte sich auf dem Sofa im Wohnzimmer mit Geräuschen, die zu erkennen gaben, dass der Mensch nur im Schlaf glücklich war und das Aufwachen jedes Mal einen kleinen Schock bedeutete, der wahre Fluch der Menschheit. An einer Ecke des Wohnzimmertischs hatte sie diverse Utensilien aufgereiht: ein aufgeschlagenes Buch, ein Wasserglas, die silbernen Ringe, die tagsüber ihre Hände zierten, ein Päckchen Zigaretten und ein Feuerzeug.
    Lóa blinzelte ihr zur Begrüßung nur kurz zu, während sie durchs Wohnzimmer eilte, und stand dann vor der

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