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Der Schrecken verliert sich vor Ort

Der Schrecken verliert sich vor Ort

Titel: Der Schrecken verliert sich vor Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Held
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stand auf, dachte an Baca. Für den Freund war es einfach, der musste über die Entscheidung nicht nachdenken. Für Baca gab es kein Wenn und Aber, Wille und Wunsch waren dasselbe. Aber Tadek hatte nicht nur Alpträume, er hatte auch Träume. Er wollte studieren, reisen, die Welt kennen lernen, die Alpträume oder Nachtangriffe, wie er sie nannte, unter einem prallen, bunten Leben verscharren. Er legte sich hin, stand auf, legte sich hin und stand irgendwann, wie ohne sein Zutun, angezogen vor der Tür. Ich könnte auf Probe arbeiten, dachte er und wenn es nicht geht, zu Baca sagen: Es geht nicht, ich hau wieder ab. Mit diesem Gedanken hätte er ins Bett gehen können, aber dann sah er auf die Uhr. Kurz vor Mitternacht. Gespensterstunde. Eine gute Zeit, um zu Fuß nach Birkenau zu laufen. Die Nacht war dunkel, es war windig, er fühlte sich vom Nieselregen gepeitscht, das gefiel ihm. Eine solche Entscheidung trifft man nicht im Bett und nicht in einer warmen Stube und nicht in Gesprächen, die das Für und Wider erwägen. Eine innere Instanz muss die Entscheidung fällen – nur: Hat er eine und wo ist die? Und weiß die, was er von ihr will? Bisher hatte sie nicht gesprochen. Er marschierte los und hörte den Stimmen zu, die sich während seines Gangs durch Birkenau meldeten. Es waren viele. Sie spotteten: Tadeusz, du blöder Hund, was willst du hier? Sie warnten: Lauf weg, Tadek, mach schnell. Sie mahnten: Du spinnst, Szymanski, willst du dich mit Geistern vermählen? Eine Stimme spielte sich als die Kühle, Vernünftige, Moralische auf. Sie sagte im Gouvernantenton: Tadeusz Szymanski, es muss Menschen geben, die dafür sorgen, dass nichts, was hier geschehen ist, vergessen wird. Hast Recht, sagte er – aber kannst du mir sagen, warum ausgerechnet ich das sein soll? Sie schwieg. Feigling, rief er, mach’s doch selber!
    Er stand in Birkenau, mitten in diesem unheimlichen Gelände und wäre wohl umgekehrt, hätte er nicht in der Ferne einen Schatten gesehen, der sich wiegte, vor und zurück, langsam und ruhig, vor und zurück. So hatten sich die Juden in seinem Dorf beim Beten bewegt. Lass dich nicht bange machen, Szymanski, beruhigte er sich, geh hin, schau nach, es gibt keine Gespenster, nicht einmal um Mitternacht in Birkenau. Vorsichtig näherte er sich dem schwarzen Schatten. Die Vorstellung, dort bete ein Jude, gefiel ihm – zwei schlaflose Spinner im Regen, das wäre eine schöne Begegnung gewesen. Dann sah er, dass der betende Jude ein Busch war, den der Wind bewegte.
    Mit dem Umzug in die SS-Kommandantur hatten die Alpträume aufgehört. Er war zu ihnen gekommen, also mussten sie ihn nicht mehr verfolgen. Am Anfang waren es achtzehn Verrückte und alle machten alles. Später leitete er die Abteilung Kunst und Öffentlichkeitsarbeit der Gedenkstätte. Seit fünf Jahren war er Rentner, kochte Fünf-Minuten-Eier, hatte keine Arbeit mehr und viel zu tun. Er eröffnete Ausstellungen in New York, Brüssel, Berlin, hielt Vorträge in Paris, Hamburg, Warschau, Wien, wo immer man ihn brauchte. Er kannte alles, was in Auschwitz von Häftlingen gezeichnet, skizziert, gemalt, fotografiert, geschnitzt und geschrieben, versteckt und vergraben wurde und hatte sich an die entgeisterte Frage, wie er hier wohnen konnte, gewöhnt. Sie gehörte zu jeder Führung durch Auschwitz. Kopfschütteln. Szymanski, Szymanski, wie kannst du auf dem größten Friedhof der Welt wohnen! Wie man sieht: Ich kann.
    Wenn er sich aus dem Fenster beugt, sieht er das Haus mit dem flachen Dach, von den Häftlingen, ›kleine Todeswerkstatt‹ genannt, das erste Krematorium, die ›Probebühne‹ für Birkenau. Rechts von ihm, hinter den Gärten, steht die ehemalige Dienstvilla von Höss, das Haus verkommt. Und wie kannst du wirklich hier wohnen, fragt Lena. Curd Jürgens lächelt. Exquisite Lage. Preiswerter Wohnraum. Frische Luft. Viel Himmel und vor der Haustür eine große Ruhe.
    Er macht keine Führungen mehr, er sagt, er könne sich selber nicht mehr zuhören, es sei, als habe sich seine Stimme selbständig gemacht, als gehöre sie nicht mehr zu ihm, wenn er das Lager erklärt. Er mag diese Stimme nicht, sie dreht sich wie eine Schallplatte in ihm. Aber wenn du Lust hast, sagt er, kannst du mich auf dem Nachmittagsspaziergang begleiten. Gegen drei, ist das recht, viel reden werde ich nicht. Heiner nickt. Er gibt Lena frei, dabei ist er gar nicht gefragt worden.
    Um drei setzt Tadek die schwarze Baskenmütze auf die weiße Mähne, legt die

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