Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
Die Planer dagegen gehen es an wie eine militärische Operation. Alles wird bis ins letzte Detail geplant. Wo, wann, wie, jeder Aspekt wird vor der eigentlichen Tat wieder und wieder durchgegangen. Wenn dein Kerl sich die Opfer aus Akten heraussucht, und ganz besonders, wenn er dabei sicherstellt, dass keines der Opfer unter beruflichen Aspekten direkt mit ihm in Verbindung gebracht werden kann, dann ist er ein Planer.«
»Aber es gibt auch Überschneidungen zwischen den Kategorien, oder?«
»Natürlich. Diese Kategorien sind nicht in Stein gemeißelt, Frank, es sind grobe Skizzen. Kein einziger Mörder ist wie der andere, glaub mir.«
»Und was meintest du eben, als du von seiner Tochter sprachst?«
»Nun, das wäre interessant zu wissen. Die Möglichkeit, dass er seine Tochter vom Dachboden über ihrem Schlafzimmer aus gefilmt hat … Er könnte von einer Fixierung auf seine Tochter getrieben sein, etwas Inzestuöses. Weil er seine eigene Tochter nicht bumsen kann, sucht er sich Mädchen aus, die ihr ähnlich sehen. Und um sich selbst davon zu überzeugen, dass er kein inzestuöser Pädophiler ist, nimmt er diese kosmetischen Veränderungen vor, damit sie ein wenig anders und ein wenig älter aussehen. Wie alt ist das Mädchen?«
»Vierzehn.«
Ron lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. »Das Problem ist, dass man nicht die geringste Ahnung hat, was mit solchen Typen los ist, solange man sie nicht geschnappt hat. Und auch dann erfährt man nur, was sie einem erzählen wollen. Sämtliche Informationen, die wir über die Jahre hinweg beim FBI zusammengetragen haben, enthalten zwangsläufig zweifelhafte Aspekte. Schließlich haben wir es mit Leuten zu tun, die man zu den besten Lügnern der Welt zählen dürfte.«
»Und wenn die Tochter den Opfern nicht ähnelt?«
»Wenn seine Tochter eine brünette, übergewichtige Brillenträgerin ist, dann macht es ihn wütend, dass sie nicht ins sozial akzeptierte Modell passt. Vielleicht hatte sie Schwierigkeiten in der Schule, vielleicht wurde sie von diesem oder jenem ausgeschlossen, weil sie nicht die süße Blondine ist, auf die er gehofft hatte. Dann wird es zu einer Frage der Rache an allen, die ihr das Gefühl vermittelt haben, anders und unerwünscht zu sein.«
»Wenn sie ihrer Mutter ähnelt, zählt sie zur ersten, nicht zur zweiten Kategorie.«
»Gut, dann bumst er seine Tochter via Stellvertreterin. Hier kommt der Hang zum Zerstören-was-man-erschaffen-hat ins Spiel, bei gleichzeitiger ausreichender Sympathie für das Opfer, um die Misshandlungen und den Schmerz nicht auf die Spitze zu treiben. Was das Rohypnol erklären könnte. Wenn die Opfer betäubt sind, können sie sich nicht zur Wehr setzen, und wenn sie sich nicht wehren, muss man sie nicht in ihre Schranken weisen oder ihnen wehtun.«
»Ich glaube, den ersten Opfern wurde wehgetan«, warf Parrish ein. »Dieser Film, Hurting Bad – na ja, der Titel sagt eigentlich alles, oder?«
»Wie gesagt, Frank, du hast keine Ahnung, wie sich diese Sache entwickelt hat. Vielleicht hat er bei den ersten Opfern mit jemandem zusammengearbeitet und dann allein weitergemacht, weil ihm der Teil mit den Schmerzen nicht behagte. Oder er hat angefangen, indem er den Mädchen Schmerzen zufügte und sich dann einer verfeinerten Methode zugewandt, um zu tun, was er tun musste.«
»Was er tun musste ?«
»Natürlich. Bei diesen Typen geht es niemals um Wollen, sondern um Müssen. Sie können es nicht kontrollieren. Die Taten lösen einen inneren Druck. Immer. Ganz tief drinnen, wenn man zu dem Kern dessen vordringt, was diese Typen umtreibt, stößt man immer auf eine Schwierigkeit, auf ein Problem, ein tief verwurzeltes Thema, von dem ihnen die Taten Entlastung verschaffen. Und da ist noch ein anderer Aspekt, der mir das Gefühl gibt, dass wir es hier mit etwas sehr Persönlichem zu tun haben, nämlich das Erdrosseln.«
»Was willst du damit sagen?«
»Erdrosseln und Ersticken sind nicht invasive Tötungsmethoden. Es geht nicht um eine Pistole, ein Messer, einen Hammer oder einen Ziegelstein, mit dem man jemandem den Schädel einschlägt. Es tritt kein Blut aus, und abgesehen von ein paar Blutergüssen weist die Leiche keine physischen Verletzungen auf. Wenn du jemanden erdrosselst oder erstickst, sieht er mehr oder weniger aus wie vorher, jedenfalls für eine kleine Weile. Man kann die Leiche aufsetzen, hinlegen, sogar noch ein bisschen bumsen. Man kann sie bei sich behalten, ohne ständig daran erinnert zu
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