Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
erzählt habe?«
»Was?«
»Die Wahrheit. Die habe ich ihm erzählt. Wie mein Vater in Wirklichkeit war. Was für ein Arschloch er war.«
»Und wie hat diese Person darauf reagiert?«
»Er sagte, ich sollte nicht so viel trinken. Er weigerte sich, mir noch einen auszugeben, und schien das, was ich zu sagen hatte, nicht sonderlich interessant zu finden.«
»Und wie fühlten Sie sich, als Sie diese Dinge sagten?«
»Ich weiß nicht mehr. Ich glaube, ich war betrunken.«
»Das, was die Leute am schwersten aushalten können, ist die Wahrheit, Frank. Ich bin sicher, dass es eine Menge Menschen gibt, die in Ihrem Vater ein Vorbild sehen, ein Musterbeispiel für einen guten Polizisten. Und sicher mögen es diese Menschen nicht, wenn ihnen dieses Idealbild geraubt wird.«
»Sein ganzes Leben war eine Lüge.«
»Ich weiß, Frank, aber ich kann mir vorstellen, dass eine Menge Leute nicht zuhören möchten, wenn Sie es aussprechen. Manche, weil sie mit seinen Geschäften zu tun hatten, andere, weil sie sich an ihre Ideale klammern möchten.«
»Aber hier kann ich sagen, was ich will, ohne dass es je aus diesem Raum herausdringt, oder?«
»Ganz genau. Ich halte es übrigens für ein gutes Zeichen, dass Sie dieser Person die Wahrheit gesagt haben.«
»Warum?«
»Weil es bedeutet, dass Sie jetzt bereit sind, sich einigen Wahrheiten über Ihren Vater zu stellen.«
»Ich habe die Wahrheit über ihn immer gewusst. Wie er wirklich war.«
»Ja, natürlich wussten Sie es, aber Sie behielten es für sich. Sie mussten ihn verteidigen.«
» Verteidigen ? Das glaube ich nicht. Es ging wohl eher darum, dass ich mich dafür geschämt habe, wer er in Wirklichkeit war.«
»Ich verstehe …«
»Was möchten Sie, worüber ich heute spreche?«
»Sie wollten über die Lufthansa sprechen, wissen Sie noch? Und über die Verstrickung Ihres Vaters in diese Sache. Aber das muss nicht sein. Wir können sprechen, worüber Sie wollen.«
»Ich möchte ja darüber sprechen, aber ich habe ständig diesen Fall im Kopf.«
»Gut, dann erzählen Sie mir zuerst von dem Fall.«
»Ich möchte bloß ein paar Dinge laut aussprechen. Ich rede, und Sie hören zu, weiter nichts.«
»Einverstanden. Was wollen Sie aussprechen?«
»Dieser Fall, an dem ich arbeite – das erdrosselte Mädchen. Ich habe ihre Schule besucht, um mit ein paar ihrer Freunde zu sprechen. Einer von denen erzählt mir von jemandem aus der Waterbury-School, einem Mädchen, das eine Freundin hatte, die letztes Jahr Weihnachten erdrosselt wurde. Ich spreche also mit dem Mädchen und erfahre, wer die Tote war. Ich suche ihre Eltern auf und finde heraus, dass das tote Mädchen vom letzten Weihnachtsfest ebenfalls adoptiert worden war, dass auch sie unter der Obhut des Jugendamts stand. Und aus irgendeinem Grund bekomme ich diesen Gedanken nicht aus dem Kopf.«
»Sie glauben, dass die Fälle zusammenhängen?«
»Ich … vielleicht, aber … ich glaube es nicht, nein.«
»Ich höre da ein leichtes Zögern, Frank.«
»Na ja, das erste Mädchen, die Schwester des Junkies … sie hatte die Haare geschnitten, und ihre Nägel waren farbig lackiert. Und dieses Mädchen von der Waterbury School trug Kleider, von denen ihre Mutter behauptete, dass sie sich darin niemals gezeigt hätte.«
»Ich verstehe. Sonst noch etwas?«
»Hm, ich habe mich für andere vermisste Mädchen interessiert, verstehen Sie? Ich habe eine Suchanfrage gestellt und bin sämtliche Morde und Vermisstenanzeigen in dieser Altersgruppe durchgegangen. Am Ende hatte ich fünf weitere Mädchen – zwei Morde und drei mutmaßliche Ausreißerinnen.«
»Und sie wurden ebenfalls vom Jugendamt betreut?«
»Das kann ich nicht sagen. Ich konnte noch nicht weiter recherchieren.«
»Aber das haben Sie vor.«
»Ja.«
»Handelt es sich dabei um einen Teil Ihrer früheren ungelösten Fälle?«
»Nein, es sind nicht meine Fälle. Früher nicht, und auch jetzt nicht.«
»Wird das nicht für Ärger zwischen Ihnen und Ihren Kollegen sorgen?«
»Wenn sie es herausfinden, doch.«
»Aber Sie wollen Ihnen nichts sagen.«
»Sie sind die Einzige, der ich davon erzähle.«
»Nun, Frank, ich weiß nicht recht, was ich sagen soll. Ich bin Therapeutin, keine Ermittlerin, aber in Ihrer Lage wäre es vielleicht eine gute Idee, den ursprünglich zuständigen Beamten mitzuteilen, dass Sie deren Fälle übernehmen wollen …«
»Ich ›übernehme‹ ihre Fälle ja nicht.«
»Wie würden Sie es nennen?«
»Hausaufgaben.«
»Ernsthaft,
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