Der Schrei des Eisvogels
wahrscheinlich alle schon beim Abrechnungsfest des Squires, Chef. Wenn ich mich nicht täusche, lässt sich hierzulande niemand ein kostenloses Festessen entgehen, schon gar nicht, wenn Miss Creed dafür gebacken hat.«
Die Zornesröte zögerte, verharrte eine Weile im Ungewissen und zog sich dann allmählich aus Dalziels Gesicht zurück.
»Bin ich froh, dass wenigstens einer von euch noch was Vernünftiges zu sagen hat«, antwortete er. »Aufstehen, Jungchen. Mal sehen, ob dieses Abrechnungsfest wirklich so toll ist, wie hier alle behaupten.«
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Fünfter Band
Prolog
Auszug aus den Aufzeichnungen des verstorbenen Reverend Charles Fabian Cage, Dr. theol., zu einer unvollendeten »Geschichte der Pfarrgemeinde Enscombe«
A uf den ersten Blick mag Enscombe als der Inbegriff des englischen Dorfs erscheinen – mit seiner Landschaft, seiner Architektur, seinen Altertümern, seiner Gesellschaft, seiner Wirtschaft, die miteinander zu jener Vollkommenheit verschmelzen, von der die Dichter träumen. Doch bei näherer Betrachtung erweist sich vieles an dem Ort als trügerisch, wenn nicht gar bewusst irreführend!
Der Name zum Beispiel. Damit gibt es keine Probleme, könnte man meinen. Das Dorf, das sich in das Tal,
combe,
des Flüsschens Een schmiegt. Doch hakt man ein bisschen nach, stellt sich einem die Frage, was in aller Welt ein
combe
in dieser Grafschaft aus lauter
dales
zu suchen hat.
Combes
oder
coombes
sind im West Country sowie (als
cwms
) in Wales geläufig, doch in Yorkshire fällt mir kein einziges zweites Beispiel ein. Enscombe ist ein Name, den jemand erfinden könnte, der niemals weiter nach Norden gekommen ist als, sagen wir, bis Hampshire! Ortsnamenforscher kommen interessanterweise mit einer ganzen Bandbreite an Ableitungen daher, wie etwa
Enna’s Combe
und
Eanna’s Combe
, von denen die erstere eine Verbindung mit jenem sizilianischen Tal suggeriert, in dem die blumenpflückende Proserpina, selber eine noch schönere Blume, vom finsteren Dis gepflückt wurde; die letztere hingegen verweist auf den irischen Heiligen Enda oder Eanna, der hier auf seinem Weg von Galloway (wo er zum Mönch ausgebildet wurde) nach Rom zu seiner Ordinierung eine Rast einlegte. Beide Erklärungsversuche lassen das sperrige
combe
außer acht, sind aber zusammen von Interesse, insofern sie uns zwischen der christlichen und der heidnischen Welt die Wahl lassen.
Weniger interessant für die Wissenschaft, doch umso überzeugender für die angestammte Bevölkerung ist die Theorie, die der bekannte Yorkshire-Kenner und Volkskundler P. N. Walker vertritt. Er beruft sich auf eine Legende, der zufolge in mythischer Vorzeit eine monströse, grendelartige Kreatur den Norden heimsuchte und überall, wo sie auftauchte, Tod und Verderben brachte. Einem einzigen abseits gelegenen Weiler gelang es durch Weitsicht und Schläue, der Zerstörungswut der Kreatur zu entgehen, und dieser Ort wurde als das Dorf bekannt, das dem »monströsen Besucher« entkam,
entisc cuma
im Altenglischen, was irgendwann zu Enscombe wurde.
Nicht sehr überzeugend? Macht nichts, mir gefällt’s. Aber was bedeutet schon ein Name? Ein Datum hingegen ist was anderes. Ein Datum sollte verlässlich sein. Überall an der Old Hall ist das Datum 1508 eingemeißelt, doch das Bauwerk ist nachgewiesenermaßen erst in den 1560er Jahren fertiggestellt worden. Es scheint, dass Solomon Guillemard, der damalige Squire, nachdem er sich das Vermögen des aufgelösten Klosters St Margaret unter den Nagel gerissen und das Land sowie die Überreste des Klosters zu einem Schleuderpreis erstanden hatte, entschlossen war, für alle späteren Nachforschungen Verwirrung zu stiften, indem er sein neues Herrenhaus Old Hall nannte und es um ein halbes Jahrhundert zurückdatierte! Es ist aufschlussreich, dass dies ausgezeichnet zu erheblichen Rückdatierungen im Zusammenhang mit der Ankunft der Guillemards in England passt. Keinesfalls waren sie Teil der ersten Welle normannischen Adels, der zusammen mit Wilhelm dem Eroberer England in Besitz nahm. Vielmehr kamen sie offenbar mit jener Flut von Abenteurern, die üblicherweise im Gefolge einer siegreichen Armee hereinschwappt.
Ich habe dies dem Squire dargelegt, als er mich mit den Eröffnungsstrophen seiner Ballade beehrte, in der er die Heldentaten seiner Vorfahren in Hastings beschreibt. Ich erwähnte auch, dass ich nirgends einen Hinweis auf diesen seltsamen Mythos über ihren Talisman, den Eisvogel, hätte finden
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