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Der Schrei des Löwen

Der Schrei des Löwen

Titel: Der Schrei des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin Ramadan
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zusammengekauert auf der Ladefläche entdeckten, schauten ihn zwar verwundert an, sagten aber nichts. Yoba tat seinerseits sein Bestes. Er lächelte sein unverbindlichstes Lächeln und begrüßte die verdutzten Fremden wie alte Bekannte. Das tat er mit jedem einzelnen Neuankömmling, bis die Ladefläche so weit gefüllt war, dass er hinter einer Wand aus Menschenleibern verschwand. Endlich konnte er aufatmen. Er hatte es ohne Fahrschein auf einen der Laster geschafft!
    Die Weiterfahrt durch die Wüste unterschied sich nicht im Geringsten von Yobas erster Fahrt. Außer vielleicht, dass der Lkw noch voller war und noch langsamer durch die glühende Landschaft kroch. Auch war diesmal keine Frau oder ein Baby mit dabei, die Reisenden waren ausnahmslos junge Männer. Sie besaßen die unterschiedlichsten Nationalitäten und verständigten sich auf Französisch, Englisch oder Haussa. Was die Strapazen betraf, war ebenfalls alles wie vorher. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in glühender Hitze zusammengepfercht auf der Ladefläche zu stehen brachte einen schnell an den Rand des Wahnsinns. Das erforderte weit mehr als nur Disziplin und Durchhaltevermögen. Zumal die Sahara ihr Übriges dazutat. Nachdem der schwankende Lastwagen Dirkou verlassen hatte, war die Wüste noch fast weiß gewesen. Hunderte von Reifen hatten ihre Spuren auf dem brettharten, mit Salz durchsetzten Sand hinterlassen. Hinter dem Felsplateau zu ihrer Rechten erhoben sich riesige Dünen. Einige Stunden später hatten sich die Reifenspuren in der verbrannten Landschaft verloren. Dafür tauchte am flimmernden Horizont eine einsame Bergspitze auf. Yoba gewann den Eindruck, dass die Fahrer den fernen Berg als Orientierungshilfe benutzten, denn soweit es die Bodenverhältnisse zuließen, hielten sie genau darauf zu.
    Diesmal konnte Yoba alles sehen, weil er einen Platz auf der meterdicken Gepäckschicht ergattert hatte. Einen gefüllten Wasserkanister besaß er ebenfalls. Den hatte er am Abend zuvor noch bei einem der Wasserhändler erstanden. Sein einziges Problem war das Essen. Um Proviant zu kaufen, hatte sein Geld nicht mehr gereicht, und das Hühnchen hatte er fast komplett an den Hund verfüttert. So dauerte es nicht lange, bis der Hunger an seinen Eingeweiden zu nagen begann und ihm keine Ruhe mehr ließ. Jedes Mal wenn sie nach Sonnenuntergang ihr Nachtlager aufschlugen und die Erwachsenen ihren Proviant auspackten, musste er sich zusammenreißen, um nicht wie ein Raubtier über das fremde Essen herzufallen. Natürlich blieb Yobas Enthaltsamkeit den Mitreisenden ebenso wenig verborgen wie seine begehrlichen Blicke. Schließlich erbarmte sich ein älterer Mann. Er hieß Yusuf und stammte aus dem Sudan. Ursprünglich war er Koch gewesen, aber das Krankenhaus, in dem er gearbeitet hatte, war im Bürgerkrieg bis auf die Grundmauern niedergebrannt.
    »Hast du keinen Proviant?«, wollte er von Yoba wissen. Es war am zweiten Tag seiner unfreiwilligen Fastenzeit.
    »Ich konnte keinen mehr kaufen«, erklärte Yoba. »Ich habe kein Geld mehr.«
    »Du bist ohne etwas zu essen unterwegs?« Der Sudanese schüttelte ungläubig den Kopf. »Das ist wirklich leichtsinnig, mein Junge!«
    »Ich weiß, aber ich muss meinen Bruder finden. Bitte! Können Sie mir nicht ein bisschen abgeben?« Yoba deutete auf dieoffene Konservendose in Yusufs Hand. Sie enthielt eingelegte Auberginen.
    Yusuf reichte Yoba die Dose, woraufhin er sich sofort über das ihm unbekannte Gemüse hermachte. Das glitschige Zeug schmeckte nicht sonderlich gut, trotzdem musste er sich zurückhalten, um nicht die ganze Dose zu verschlingen. Das wäre unhöflich gewesen.
    Der Sudanese sah ihm neugierig zu. »Wie kommst du überhaupt auf unseren Laster?«, fragte er. »Als wir in Agadez losgefahren sind, habe ich dich nicht gesehen. Das könnte ich beschwören.«
    »Mein Laster ist ohne mich weitergefahren«, nuschelte Yoba mit vollem Mund. »Jetzt versuche ich ihn wieder einzuholen!«
    Yusuf kratzte sich am unrasierten Kinn. »Dann hast du wahrscheinlich auch keinen Fahrschein, nehme ich an.«
    »Nicht für diesen Laster«, erwiderte Yoba, während er mit schmutzigen Fingern ein letztes Gemüsestück aus dem Essigwasser fingerte. Er steckte es in den Mund und sah den Mann an. »Verraten Sie mich jetzt an die Fahrer?«
    Als der ehemalige Koch die Angst in Yobas Augen sah, schmunzelte er. »Keine Sorge, mein Junge. Die Fahrer sind ausnahmsweise in Ordnung. Sie werden dich schon nicht in der Wüste

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