Der Schritt hinueber - Roman
wohl gar nichts vorgehabt, – wenn das seine Pflicht war da oben; oder war es freiwillig? Er hat wohl gefühlt, daß es schlecht ausgeht. Aber das hat man nicht vor.
Hat er so gesprochen?
Nicht gesprochen, nicht direkt gesprochen, – im Sprechen hat er sich stark gemacht, – na, hoffentlich läßt er uns nicht sitzen, hat er gesagt.
Er blickte auf die Lehrerin. Sie befahl ihm doch, alles zu sagen, ja, genau mit diesen Worten. Oder hatte Spasso ihn bestellt, für ihn zu sprechen? Er fuhr fort:
Aber ich habe ihm angemerkt, er fürchtet sich. Er hat auch gesagt, der Kapitän hat ja natürlich auch nichts gesehen, aber wenn ich hier bin, ist auch der Kapitän hier.
Wo – hier? fragte der Kapitän.
Das habe ich auch nicht verstanden, sagte Bemelman. Zu mir hat er gesagt, ich wäre nicht der einzige, der nichts gesehen haben will. Doch dann hat er gesagt, nicht so schlimm. Er war überhaupt ein freundlicher und ruhiger Mensch, ja, ein guter Mensch war der Herr Oberleutnant, nicht einmal essen hat er wollen; ich habe ihm etwas zu essen hingestellt, aber er hats nicht angerührt.
So erzählte Bemelman und sah eifrig auf die Frau; sie hatte ihr Kleid so schnell angezogen, daß ihr der Ärmel noch immer ein wenig verrutscht über der Schulter hing. Gottseidank, daß sie da ist, das ist eine, die sich nicht geniert! dachte er.
Er sagte: Und dann hat er sich das Licht hingestellt, er hat sich doch immer gefürchtet!
Da fuhr ihn die Schwarze an: Jetzt hören Sie endlich auf damit, daß er sich gefürchtet hat! Das ist ja gelogen!
Der Kapitän sagte zu ihr: Sei ruhig! Er wandte sich an Bemelman: Ja, bitte, Sie sollen nicht immer sagen, daß er sich gefürchtet hat. Das stimmt nicht. Spasso hat sich nicht gefürchtet.
Bemelman sagte: Nein, – vielleicht nicht. Nein, so wie unsereines hat er sich nicht gefürchtet. Er hat nur gezittert.
Die Schwarze sagte: Das ist ein Unterschied.
Bemelman sagte: Ja, das ist ein Unterschied. Er hat gezittert, – ich habe mich gefürchtet. Und dann erzählte er von seinem eigenen Schlaf, aus Furcht – aus: „soll ich mich einmischen“, habe er sich gedacht; – und von seinem Aufwachen und dem wilden Schießen, und daß Leutnant Kolja nun doch auch auf ihn geschossen habe; und von seiner Angst, ins Dorf zu laufen und Meldung zu machen. Und immer war dasselbe in seinen Worten, der Schlaf hieß: sich fürchten und sich sorgen, soll ich mich einmischen, geht es mich etwas an; und die Angst hieß so; und seit jeher hatte es so geheißen: – es kommt doch nur Unheil davon, wenn man sich einmischt! Aber nun gehts mich doch etwas an, Sorgen, Erbarmen, – Unheil, es kam auf jeden Fall!
Die schwarzhaarige Lehrerin nickte ihm zu. Die Haut in ihrem jungen Gesicht war verdrückt, die Lippen verschmiert vom Trinken und von der Nacht, sie schielte, sie sah nur böse aus. Sie streckte die kleine geschrumpfte Hand vor, als wolle sie dem Kapitän die Tür weisen.
Der Kapitän blickte auf sie mit seinen stumpfen grauen Augen. Er blinzelte und fuhr sich mit der Hand über die kurze Haarbürste. Dann wandte er sich ab.
Es dauerte eine Weile, bis der Kapitän fertig war, er hatte ja nicht seinen Adjutanten bei sich, sondern mußte alles selber machen. Er drehte an dem Kasten des Feldtelephons und rief in den verschiedenen Quartieren an. Er sprach in Decknamen, er schrie ein paarmal ungeduldig, weil ihn die Telephonwachen, an Ruhe gewöhnt, nicht sofort begriffen. Er ließ sich mit dem Streifendienst an der Straße verbinden und verlangte Verstärkung der Streifen und dichte Absperrung.
Ja, es handelt sich um Leutnant Kolja, und Sie müssen darauf gefaßt sein, daß er durchzubrechen versucht. Sie müssen damit rechnen, daß er schießt!
Während die Stimmen in der Muschel die Befehle wiederholten, dachte der Kapitän, daß er dies alles nur, weil es nun an andere Leute weiterging, so deutlich festlegen mußte, deutlicher und schärfer, als es vielleicht die Sache erforderte. Er konnte das noch unterscheiden, aber er konnte es nicht abschwächen. Er sprach etwas aus, da ergab es sich von selber, daß er aufs schärfste formulierte, das gehörte zum Aussprechen, Befehlen, zur Vorbereitung einer Aktion.
So versagte er sich das Paradies, und Bemelman, Spasso und die kleine Lehrerin hörten ihm dabei zu und sahen ihm auch zu, wie ers nun anders einrichtete – ganz anders, als er es vorgehabt hatte. Ja, auch Spasso war anwesend, er stand in der Stube und beugte sich interessiert vor; Spasso mit
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