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Der Schuldige: Roman (German Edition)

Der Schuldige: Roman (German Edition)

Titel: Der Schuldige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Ballantyne
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Rückseite des Löffels zu gießen, damit die Haut des Porridges nicht verletzt wurde.
    »Komm um vor Hunger«, sagte er, als sie ihm Orangensaft eingoss.
    »Na ja, du bist im Wachstum, das bist du nun mal. Iss auf.«
    »Minnie?«, sagte Daniel und nahm einen Löffel süßen Porridge in den Mund.
    »Was denn, Schatz?«
    »Werden wir diese Woche davon hören?«
    »Sollten wir. Das haben sie jedenfalls gesagt. Du musst dir aber keine Gedanken machen. Es wird schon klappen. Aber wenn, dann sollten wir es feiern.«
    »Wie denn?«
    »Wir könnten ein Picknick machen. Wir könnten ans Meer fahren …«
    »Echt? Aber dann müsstest du Auto fahren.«
    »Na ja, wir könnten ja langsam machen. Uns Zeit lassen.«
    Daniel lächelte und aß seinen Porridge auf. Er war noch nie am Meer gewesen, und der Gedanke brachte seinen Magen zum Flattern.
    »Minnie?«, sagte er und leckte seinen Löffel ab. »Wenn die Papiere da sind, soll ich dann Mum zu dir sagen?«
    Sie stand auf und begann, das Frühstücksgeschirr abzuräumen. »Solange du höflich bleibst, kannst du zu mir sagen, was du willst«, sagte sie und verwuschelte ihm die Haare.
    Über ihren rosa Wangen leuchteten ihre Augen. Daniel beobachtete sie – nicht sicher, ob sie glücklich oder traurig war.
    Es war noch kalt, und Minnie verlangte, dass er beim Aufbau des Marktstands seinen Parka trug. Daniel war inzwischen geübt. Er pinnte das Plastiktuch auf der Tischplatte fest, während Minnie von den Erzeugnissen im Kofferraum ihres Wagens eine Bestandsliste machte. Sie trug zwei Strickjacken übereinander und fingerlose Handschuhe.
    Minnie ordnete ihre Auslagen: Eier und drei Hühner, die sie selbst geschlachtet, gerupft und ausgenommen hatte, neue Kartoffeln, Frühlingszwiebeln, Möhren, Kohlrüben und Kohl, allesamt frisch aus der Erde. Auch Töpfchen mit ihrer Marmelade hatte sie zu verkaufen: Aprikose und Erdbeere, sowie acht Rhabarbertörtchen.
    Daniel öffnete den Eiscremebecher, der ihre Ladenkasse war, und zählte das Wechselgeld. Alles, was mit Geld zu tun hatte, war seine Aufgabe. Er nahm das Geld der Kunden ein und gab ihnen das Wechselgeld heraus. Er berechnete ihre Gewinne und seinen eigenen Lohn als Provision. Als der Wagen ausgeladen und der Marktstand fertig war, holte Minnie die Thermosflaschen und die Sandwiches hervor: Milchkaffee für Daniel und süßen Tee für sie; Sandwiches mit gekochtem Ei und andere mit Erdbeermarmelade. Wenn viel zu tun war, würden sie wahrscheinlich die Sandwiches nicht aufessen, bis sie zur Heimfahrt zusammenpackten, aber wenn es am Stand ruhig zuginge, würden sie sie noch vor elf allesamt gegessen haben.
    »Knöpf deine Jacke zu.«
    »Mir ist nicht kalt.«
    »Knöpf deine Jacke zu.«
    »Knöpf dich selber zu«, sagte er und machte, was sie verlangte.
    »Werd nicht frech.«
    Die Stände waren rund um das Bramptoner Gerichtsge bäude aufgebaut, das seit fast zweihundert Jahren im Zentrum des Orts stand. Außer Minnies gab es noch etwa acht andere Stände. Die meisten boten entweder Gemüse oder Fleisch oder eigene Erzeugnisse feil, aber Minnie war eine der wenigen mit einem umfassenden Angebot. Ihre Farm war nicht groß genug, um sich zu spezialisieren. Sie verkaufte, was sie auch für sich selbst herstellte.
    Die erste Stunde verging schnell, und Minnie verkaufte zwei Hühner und mehrere halbe Dutzend Eier. Sie wusste, dass ihre Hühner die besten waren, und selbst die Leute, die sie nicht mochten, kauften aus diesem Grund ihre Eier.
    Daniels Hände waren von der Kälte rot angelaufen. Als Minnie sah, dass er sie in seine Jackenärmel steckte, rieb sie sie, um sie zu wärmen. Sie ließ ihn beide Handflächen zusammenlegen wie beim Beten, und dann rieb sie sie zwischen ihren Händen, bis die Wärme zurückkehrte. Sie massierte ihn kräftig, so heftig, dass er schwankte.
    Als das Blut in seine Hände und Arme zurückkehrte, erinnerte sich Daniel, wie er seiner Mutter die Hände massiert hatte. Ihr war immer zu kalt gewesen: zu dünn und nicht genug Kleider am Leib. Er erinnerte sich an die Knochen ihrer Hände in seinen jungen Handflächen. Er fragte sich, wo sie jetzt wohl war. Er fühlte nicht denselben Drang, sie zu finden, aber er dachte an sie, und er hätte gern gewusst, ob auch sie an ihn dachte. Er hätte ihr gern von der Farm erzählt, von Minnie, vom Zählen des Wechselgelds und von seinem Anteil. Er erinnerte sich an die Berührung ihrer mageren Hände, wenn sie ihm die Haare aus dem Gesicht strich. Wenn er daran dachte,

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