Der Schuldige: Roman (German Edition)
Flasche und trank sie halb leer, ehe er sie hart auf die Küchenarbeitsfläche stellte.
Daniel legte eine Hand über die Augen. Ihm war so kalt, aber seine Augen brannten. Verständnislos führte er den Handrücken an seine Lippen, als ihm heiße Tränen über die Wangen liefen. Es war so lange her, seit er das letzte Mal geweint hatte. Er verbarg sein Gesicht in der Armbeuge und erinnerte sich an den Trost, den ihre Wärme in der rauen Wolle ihrer Strickjacke gespendet hatte. Er fluchte und biss sich erneut auf die Lippe, aber die Dunkelheit war nachsichtig, sie ließ es zu.
20
Es war Frühling. Die Luft war durchsetzt mit dem Geruch nach Jauche und vorwitzigen jungen Knospen. Daniels Gummistiefel quietschten im Morast des Hinterhofs, als er Hector und die Hühner fütterte. Die Tür des Schuppens war aus den Angeln gebrochen und der Maschendraht stellenweise zerrissen. Daniel kniete in dem Matsch, um den Maschendraht zu flicken und die Schließe wieder festzuschrauben. Füchse hatten in Minnies Nachbarfarm Hühner gerissen. Ihre eigenen Hennen waren nur erschrocken und mitten in der Nacht gackernd gegen den Maschendraht geflattert, bis Minnie mit Blitz nach draußen gegangen war und den Fuchs verscheucht hatte.
Es war morgens halb sieben, und Daniels Magen knurrte bei der Arbeit vor Hunger. Es war noch kalt, und seine Hände waren bis zu den Manschetten gerötet. Er wuchs schon wieder aus seinen Sachen heraus, und seine Hemden rutschten allmählich über seine Unterarme nach oben. Minnie hatte versprochen, ihm am Monatsende neue zu kaufen, dazu einen Fußballdress. Er spielte inzwischen im Sturm der Schulmannschaft. Aber heute war Samstag, und sie hatten Markt.
Daniel sah Minnie am Fenster den Wasserkessel füllen und den Porridge zubereiten. Am Morgen hing ihr graues Haar nach unten, an den Seiten nur von Clips zurückgehalten. Erst wenn sie angezogen war, drehte sie es nach oben zusammen.
Das Haar von Daniels Mutter war hellbraun und kurz gewesen, aber sie färbte es blond. Während Daniel die letzten Küchenabfälle in den Hühnerauslauf schüttete, erinnerte er sich daran, wie sich ihr Haar zwischen seinen Fingerspitzen angefühlt hatte. Es war dünn und weich im Gegensatz zu Minnies dicken Locken.
Nach der Aufregung mit den Thorntons hatte Minnie zu Daniel gesagt, dass sie sich um seine Adoption bemühen wolle. Den ganzen Papierkram hatten sie gemeinsam erledigt und dabei die Formulare über den ganzen Küchentisch ausgebreitet. Jetzt warteten sie. Der Gedanke, der Sohn einer anderen zu werden und gleichzeitig der Sohn seiner Mutter zu bleiben, kam Daniel seltsam vor, aber er hatte zugestimmt und empfand bei dem Gedanken eine seltsam glückhafte Vorfreude.
Minnie hatte ihn gefragt, ob er auch seinen Namen in Flynn ändern wolle, aber er hatte sich entschieden, seinen eigenen Namen zu behalten: Hunter. Es war der Name von Daniels Mutter, nicht der seines Vaters. Er wollte ihren Namen behalten, weil er ihm gefiel. Es war sein Name, aber er überlegte auch, dass seine Mutter, wenn er achtzehn wäre, ihn vielleicht würde finden wollen. Wenn sie jemals nach ihm suchte, wollte er leicht zu finden sein.
Im Badezimmer wusch sich Daniel die Hände und genoss das Gefühl des warmen Wassers an seinen kalten Fingern. Als er fertig war, stützte er sich auf das Waschbecken und blickte auf sein Gesicht im Spiegel. Er starrte seine dunklen Haare an, die fast schwarz waren, und seine dunkelbraunen Augen, die so dunkel waren, dass man wirklich ganz genau hinsehen musste, um die Pupille von der Iris zu unterscheiden. Ihm war sein eigenes Gesicht oft fremd vorgekommen. Er sah so anders aus als seine Mutter. Er wusste nicht, woher seine Gesichtszüge stammten.
Seinen Vater hatte er nie gekannt. Mehrere Male hatte Daniel nach dem Namen seines Vaters gefragt, aber seine Mutter hatte jedes Mal die Antwort verweigert oder ihm gesagt, dass sie nicht wisse, wer es sei. Daniel hatte seine eigene Geburtsur kunde gesehen, aber die Angaben zu seinem Vater fehlten darauf.
Bald würde er zwei Mütter haben: eine, die der Staat akzeptierte, und eine, die er nicht akzeptierte; eine, um die er sich kümmern musste, und eine zweite, die sich um ihn kümmerte. Aber immer noch keinen Vater.
Minnie hatte in der Küche das Radio laufen. Sie rührte den Porridge um und wiegte die Hüften zu der Musik. Als sie auftrug, blies Daniel auf den Porridge, ehe er Milch und Zucker darauf tat. Minnie hatte ihm beigebracht, die Milch auf die
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