Der schwarze Atem Gottes
versorgte.
Überdies zeigte er etliche Kartenkunststückchen, und schließlich erbot er sich, etwas ganz Besonderes darzubieten, wenn jeder der Anwesenden ihn dafür bezahlte. Einer der Gäste, ein kleiner, etwas verwachsener Mann mit einer unglaublich hohen Stirn und einer leisen Fistelstimme, hatte nämlich gesagt, er habe einmal gesehen, wie ein Gaukler den Geist einer schönen Frau beschworen hätte. Zu so etwas sei Federlin sicherlich nicht in der Lage; er sei schließlich nur ein Scharlatan. Das wollte Federlin nicht auf sich sitzen lassen. Er befahl, dass alle Lichter gelöscht wurden. Durch die eintretende Finsternis fraß sich seine melodische Stimme: »Jeder bleibt dort, wo er gerade sitzt. Keiner soll sich bewegen. Gleich wird eine schwache, milchige Kugel in der Luft erscheinen. Schaut sie an.«
Und tatsächlich erschien bald eine solche Kugel. Martin rieb sich ungläubig die Augen. War Federlin wirklich ein Zauberer, ein Schwarzmagier? Hatten sie sich dem Teufel anvertraut, ohne es zu wissen? Ein Seufzen der Bewunderung ging durch die Reihen der Zuschauer. Nun gleißte ein greller Blitz aus der in der schwarzen Luft schwebenden Kugel. Er verschwand und mit ihm die Kugel, und an ihrer Stelle schwebte nun eine wunderschöne nackte Frau in der Luft.
Martin musste sofort an Maria denken, die nicht weit von ihm entfernt saß. Ja, hatte diese verlockende Schönheit nicht sogar Ähnlichkeit mit dem jungen, leidgeprüften Mädchen? Er drehte sich um und wollte die Dunkelheit mit seinem Blick durchdringen und sehen, ob Maria noch an ihrem Platz saß, aber er konnte nur die ungewissen Umrisse von Köpfen und Leibern, jedoch keinerlei Gesichtszüge erkennen. Er drehte sich wieder um und sah die schwebende Frau an. Er hörte Keuchen; den Männern im Raum schien die Darbietung zu gefallen. Und Martin gefiel sie auch. Er musste daran denken, was sein verstorbener Mitbruder Suitbertus mit Maria gemacht hatte, und mit einem Mal schien Martin sein Tod wie eine gerechte Strafe für diese allerschändlichste Unzucht zu sein. Doch er konnte die Augen nicht von diesen straffen Brüsten, diesem flachen Bauch, diesem wohlgerundeten Hintern und den strammen Schenkeln abwenden. Er spürte, wie etwas zwischen seinen Lenden hart wurde, und war äußerst dankbar dafür, dass niemand seinen Zustand bemerken konnte – vor allem Pater Hilarius nicht.
Dann löste sich das Bild auf, und es erschien ein neues. Zuerst sah Martin in der schwarzen Ferne nur eine brennende Stadt. Ihre Türme, Häuser und der spitze Kirchturm hoben sich wie Schatten vor dem Gelb und Rot der züngelnden Flammen ab. Aus der Dunkelheit der Schankstube heraus rief jemand: »Aber das ist ja Burgebrach!« Und dann preschten von rechts vier Reiter heran. Sie waren größer als die Kirche, größer als die Stadttore, und sie sahen schrecklich aus. Es waren ein weißes, ein schwarzes, ein rotes und ein fahles Pferd, und die Personen, die darauf ritten, waren schrecklich anzusehen: ein Bogenschütze, der den tiefsten Pfuhlen der Hölle zu entstammen schien, ein Mann mit einem Schwert, ein Mann mit einer Kappe auf dem Kopf, der eine Waage in der Hand hielt, und als Letzter ritt der Tod daher: ein bleiches Gerippe mit einem teuflischen Grinsen.
Martin kannte diese Gestalten. Es waren die vier Reiter der Apokalypse. Was sie da vor sich sahen, war ein Abbild des Weltuntergangs. Martin erinnerte sich wieder an die Aussage des auf der Folter gestorbenen Zauberers – und er erinnerte sich daran, dass hier in Burgebrach jener Hexer leben sollte, der vieles über den bevorstehenden Untergang wusste und vielleicht sogar mit ihm in Zusammenhang stand. War es ein Zufall, dass Federlin ihnen ein Bild aus der Apokalypse zeigte? Er hörte, wie Hilarius laut aufstöhnte. Viel zu laut. Als stehe er vor dem Rachen der Hölle.
»Licht!« Es war die Stimme des Gauklers.
Jemand entzündete eine Kerze. Ihr Schein stahl sich schwach und unsicher durch die dichte Finsternis des Schankraumes, schälte die betroffen und erschreckt dreinblickenden Gesichter aus der Schwärze, und dann brannten immer mehr Kerzen, und die Schatten und die brennende Stadt und die vier Reiter zogen sich zurück.
Federlin stand einige Ellen von den beiden Tischen entfernt und verstaute gerade etwas in seinem Ranzen. Dann blickte er auf und lächelte die Männer an, die mit offenem Mund und ungläubigem Grinsen vor ihm saßen. »Habe ich euch zu viel versprochen?«
»Du
Weitere Kostenlose Bücher