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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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konnte, wie sie überleben konnte. Die Welt war festgefügt gewesen, nur sie selbst hatte bisweilen die Seiten und Fronten in diesem Gefüge gewechselt. Jetzt aber schien das Gefüge selbst zu wechseln, und sie wusste nicht mehr, woran sie sich noch halten konnte.
     
    Federlin lief weiter, und sie folgte ihm. Er huschte in eine Gasse hinein, blieb nach wenigen Metern stehen, sog erneut die Luft ein und kehrte zurück zu der Kreuzung.
Sieh an,
dachte Maria,
er ist doch nicht vollkommen.
Sie grinste. Plötzlich hatte Federlin für sie einen menschlichen Zug erhalten. Sie schaute ihn an. Eigentlich sah er nicht schlecht aus. Er war schlank, drahtig, hatte ein leidlich hübsches Gesicht, und seine verschiedenfarbigen Augen waren eher anziehend als abstoßend. Seltsam, dass sie ihn bisher nicht als Mann wahrgenommen hatte. Doch selbst jetzt fiel ihr das schwer.
     
    Der Gaukler hatte die Spur wieder aufgenommen. Kreuz und quer ging es durch die kleine, schlafende Stadt, bis sie endlich in einer Sackgasse standen, die von einem düsteren, unheimlich wirkenden Haus verschlossen wurde. »Da vorn«, sagte Federlin leise und schob sich den Dudelsack auf den Rücken. »Da sind sie hineingegangen.«
     
    Maria sah, dass die Tür halb offen stand. Federlin schritt auf sie zu, drückte sie noch weiter auf und warf einen Blick in das schwarze Innere des Hauses. Maria bewunderte seinen Mut. Ob er da drinnen etwas erkennen konnte? Vorsichtig schlich sie ebenfalls auf das Haus zu, trat ein und hielt sich dicht hinter Federlin. Er kramte in seinem Ranzen herum, und bald brannte eine kleine Kerze in seiner Hand. Der Raum, in dem sie standen, war bis auf einen Tisch und einen zerbrochenen Stuhl völlig kahl. Federlin ging in das links angrenzende Zimmer – und stieß einen Laut der Verwunderung aus!
     
    Was war da los? Maria stolperte hinter ihm her.
     
    Zuerst sah sie nur eine unförmige, bleiche Masse auf dem Boden neben einer schrägen Erhebung. Dann erkannte sie im Schein von Federlins Kerze, dass die Erhebung eine offen stehende Falltür war.
     
    Und die bleiche Masse war der leblose Körper des jungen Mönchs.
     
    Federlin kniete sich neben ihn und hielt die Kerze über den Kopf des Geistlichen. Maria konnte feuerrote Würgemale am Hals den jungen Mannes erkennen. »Ist er …« Sie räusperte sich. »Ist er … tot?« Was für ein furchtbarer Gedanke. Der junge Mann lag ausgestreckt und reglos auf dem Rücken. Erst jetzt wurde Maria klar, dass er völlig nackt war.
     
    »Nein, er atmet noch.« Federlin wühlte erneut in seinem Ranzen herum, holte ein gelbliches Pulver heraus und streute Martin davon einige Körner in die Nase. Bruder Martin nieste dreimal heftig und schlug dann die Augen auf.
     
    Dieser Blick! Maria erschauerte. Das war nicht mehr der Blick des unbedarften, verschämten Jungen; das war ein Blick, der auf den unnennbaren Bildern der Hölle geruht hatte! Martin holte tief Luft und sagte dann mit erstaunlich fester Stimme: »Wo ist Hilarius?«
     
    »Nicht hier. Wir haben ihn nicht gesehen«, antwortete Federlin.
     
    »Vielleicht ist er noch unten. Wir müssen ihn suchen«, sagte Martin und sprang auf die Beine. Er schwankte noch ein wenig und hielt sich an Federlin fest. Seine Nacktheit schien ihn kaum zu stören. Marias Augen huschten über seinen Körper; dann schaute sie fort.
     
    »Kommt!« Martin sprang in das Loch im Boden und war verschwunden. Federlin und Maria folgten ihm. Maria bestaunte die unterirdischen Kammern, entsetzte sich vor den Knochenbergen des ehemaligen Ossuariums, schauderte angesichts der dunklen Geheimnisse des Labors, das sie nun betraten.
     
    Auf dem Boden lag ein Kleiderbündel, und erst als Maria nahe genug herangetreten war, sah sie, dass ein Mensch darin steckte. Martin erklärte mit kalter, unbewegter Stimme, dass das der Zauberer sei, den Hilarius unschädlich gemacht habe. Er hatte den Anschein, als wolle er noch etwas dazu hinzufügen, doch schließlich schloss er den Mund und ließ die Sache auf sich beruhen. Maria warf einen angewiderten Blick auf den Toten. Er lag in unnatürlich verkrümmter Haltung da, beinahe so, als hätte man ihm die Knochen herausgeschnitten. Seine starr auf die gewölbte Decke des Raums gerichteten Augen waren leer; das Weiße war kaum noch zu sehen; es hatte sich fast überall schwärzlich verfärbt. Angeekelt und entsetzt schaute Maria weg.
     
    Martin schien dieser Anblick nicht zu berühren. Er hob sein zerfetztes Hemd vom Boden auf,

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