Der schwarze Atem Gottes
Osten, hinter dem schütteren Wäldchen, kroch eine erste, fahle Röte zaghaft über den weiten Himmel.
Sie warteten, bis die Sonne über den Rand der Welt leckte; dann suchten sie die unmittelbare Umgebung des Schachtausganges ab. Sie fanden die Reste eines Feuers und eine Menge Hufspuren. Und schließlich entdeckte Federlin ein schwarzes Stück Stoff, das an einem hüfthohen, spitzen Ast hing. Er zeigte es Martin.
»Es stammt eindeutig von einer Kutte«, sagte der Mönch und kratzte sich an der kahlen Tonsur. »Das ist der Beweis dafür, dass Hilarius hier herausgekommen ist.«
»Und die anderen Spuren deuten auf ein Lager hin. Ich fürchte, es war das Lager der Mordbuben«, meinte Federlin. »Hilarius muss ihnen geradewegs in die Arme gelaufen sein.«
Martin suchte den Boden ab. Die Hufspuren wiesen eindeutig nach Osten; die Reiter mussten in wildem Galopp davongeprescht sein. Weil der junge Mönch ganz sichergehen wollte, suchte er das kleine Wäldchen gründlich ab, doch nirgends sonst fand sich eine Spur von Hilarius. »Also bleibt uns nichts anderes übrig«, sagte er. »Wir müssen den Spuren folgen.«
»Wieso: wir?«, fragte Federlin und sah Martin unter zusammengezogenen Augenbrauen an. Einen Augenblick lang schien es Maria, als kehre die ursprüngliche Unsicherheit des Mönchs zurück, doch dann sagte er entschieden: »Es ist mir egal, was ihr beiden macht; ich jedenfalls muss Hilarius folgen. Ich muss ihn aus den Klauen dieser Mörder befreien.«
»Wie willst du das anstellen?«, fragte Federlin spöttisch. »Willst du nur mit der Macht deiner Gebete gegen diese Buben antreten? Du wirst tot sein, bevor du noch die erste Zeile des Vaterunser gesprochen hast.«
»Ich muss es zumindest versuchen. Und wenn du mir nicht helfen willst, werde ich es eben allein schaffen.« Das Feuer in Martins Augen ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte.
»Na, vielleicht gehe ich einfach ein Stücken weit nach Osten mit«, meinte Federlin. »Mir ist schließlich egal, wo ich mein Auskommen finde. Und ich habe fast den Eindruck, dass es in deiner Gesellschaft interessant werden könnte.« Federlin schulterte sein Ränzlein, das er zuvor abgesetzt hatte, und schaute Martin auffordernd an. Ohne ein weiteres Wort ging der junge Mönch los.
»Halt«, rief Maria aufgeregt. »Und was ist mit mir?«
Martin blieb stehen und sah sie an. »Bei einer so gefährlichen Unternehmung können wir keine Frau gebrauchen.«
»Wollt ihr mich etwa hier allein zurücklassen?«
Was wäre denn so schrecklich daran?,
dachte sie. Josef und seine höllische Bande waren fort, und sie würden sicherlich nicht mehr zurückkehren, denn sie hatten bekommen, was sie wollten. Maria konnte ihr früheres Leben wieder aufnehmen. Und doch – der Gedanke, dass Federlin und Martin nur eine rätselhafte Episode in ihrem Leben bleiben sollten, gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie wusste nicht, was es war, das sie so anzog, ja sie wusste nicht einmal, wer von beiden diese Anziehung auf sie ausübte. Sie wusste nur, dass sie nicht verlassen werden wollte.
Martin sah sie lange an. In diesem Blick lag etwas, das sie nicht beschreiben konnte. Es war eine Mischung aus Härte, Angst, Verlangen, Zärtlichkeit, Bestimmtheit, Besorgnis, doch es war noch weitaus mehr. Ihr wurde schwindlig. Er war wie ein Fremder für sie. Ein vertrauter Fremder.
»Na gut«, sagte er schließlich. »Komm mit.«
Er war nicht mehr der Mönch, der er gestern noch gewesen war.
12. Kapitel
Hilarius hielt sich an dem glühenden Körper des Mannes vor ihm im Sattel fest. In rasendem Ritt ging es der aufgehenden Sonne entgegen. Um seinen Hals lag eine Hanfschlinge, die der Reiter zusammen mit den Zügeln festhielt. Vor, neben und hinter ihm ritten die anderen Mitglieder der Bande.
Hilarius verfluchte sein Pech, und dann verfluchte er Gott. Warum hatte er genau dort aus dem unterirdischen Labyrinth herauskommen müssen, wo die Mordbande ihr Lager aufgeschlagen hatte? Er war ihnen geradewegs in die Hände gelaufen und hatte sich kaum wehren können, denn seine schrecklichen Bauchschmerzen lähmten ihn beinahe. Auch jetzt hämmerte es in seinem Bauch – nein, eher
vor
seinem Bauch –, und seltsame Bilder zogen durch seine Gedanken wie flüchtige Nebelschleier über ein Moor. Vage Bilder von feuchten Höllenschlünden, in denen die Gequälten in unendlicher Pein schrien und kreischten, undeutliche
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