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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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und schien nichts um ihn herum wahrzunehmen. Woran mochte er gerade denken? Als Maria ihn lange anschaute, ohne dass er es bemerkte, begriff sie langsam, dass sie inzwischen mehr für diesen seltsamen Mönch empfand als nur Zuneigung. Seit er so bestimmend und sicher und entschlossen geworden war, hatte er ungemein an Ausstrahlung gewonnen, doch er schien gleichzeitig sein sanftes und liebenswürdiges Wesen behalten zu haben. Diese Gedanken flossen wie Glut durch sie, und sie wandte den Blick von Martin ab.
     
    War sie denn noch bei Trost? Wie konnte sie sich in einen Mönch verlieben? Martin machte den Eindruck, dass er sein Gelübde sehr ernst nahm. Da konnte sie doch gleich versuchen, eine Statue zu verführen. Schließlich hatte er nicht einmal seinen elenden Mitbruder Suitbertus begleitet, um es ihm gleichzutun und mit Maria zu schlafen. Damals, in jener Herberge, in jener Nacht …
     
    Und wenn er es getan hätte? Dann hätte sie heute für ihn nur Verachtung übrig – so tiefe Verachtung wie für sich selbst, wenn sie an all die Sünden dachte, die sie in ihrem kurzen Leben bisher bereits begangen hatte.
     
    Sie schaute wieder in die Ferne, auf die in der Wärme schwimmende Stadt, und lauschte den klagenden Tönen des Dudelsacks.
     
    Niemand sprach ein Wort. Es war, als seien alle im Gefängnis ihrer eigenen Gedanken eingekerkert. Schließlich beendete Federlin sein Spiel, schulterte den Dudelsack wieder und stand auf. Er nickte Martin zu, und der Mönch erhob sich. Es ging weiter.
     
    Maria war von der Fähigkeit Federlins beeindruckt, auch die geringsten Spuren zu erkennen und zu deuten. Mehrfach kamen sie an eine Kreuzung, wo Maria völlig hilflos gewesen wäre, doch Federlin konnte aus dem Knick eines Grashalms, aus der Biegung eines Zweiges und manchmal nur aufgrund des Geruchs der Luft ablesen, in welche Richtung die Banditen geritten waren. Einmal hatten sie offensichtlich die Landstraße verlassen und ein kleines Dorf weiträumig umgangen, und auch in dem unwegsamen Wald war es für Federlin ein Leichtes, die richtige Spur zu finden. Maria bewunderte ihn.
     
    Oder war Federlin der Grund, warum sie sich auf diese aberwitzige Reise begeben hatte? Maria verstand sich selbst nicht mehr. Dieser Gaukler war in ihren Augen überaus anziehend, aber etwas an ihm war ihr unheimlich. Sie konnte es nicht genau benennen; es war nicht nur seine das Normale übersteigende Fähigkeit des Fährtenlesens, es waren nicht nur seine seltsamen, verschiedenfarbigen Augen, es waren nicht nur seine manchmal amüsanten, manchmal auch erschreckenden Gaukeleien. Bisweilen erschien es Maria, als trage er unter seiner Haut eine zweite Haut und vielleicht noch eine dritte. Er war nicht das, was er zu sein vorgab; das vermutete sie wenigstens. Er ließ nicht erkennen, ob er an Maria interessiert war; für ihn war sie scheinbar nicht mehr als ein Stück Holz.
     
    Dann schaute sie Bruder Martin verstohlen von der Seite an. Er ging schweigend, anscheinend tief in Gedanken versunken. Auf seiner Tonsur am Hinterkopf sprossen bereits neue, schwarze Haare; es sah aus, als wäre seine Frisur an dieser Stelle verätzt worden. Manchmal ballte er die Hände zur Faust. Irgendetwas schien in ihm zu wirken, zu arbeiten, zu wühlen. Er sah gequält aus, wann immer Maria neben ihm herging und ihm ins Gesicht schaute. Er erwiderte ihren Blick nur selten, und dann war er jedes Mal geistesabwesend.
     
    Der lange Marsch ermüdete Maria sehr. Als die Sonne langsam sank, hatte Maria schrecklichen Durst und großen Hunger, und sie war der Erschöpfung nahe. Je schwerer ihr das Gehen fiel, desto entschlossener wurde sie, diese beiden mürrischen, schweigsamen Gesellen bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit zu verlassen.
     
    Sie würde sich auf den Weg in eine große Stadt machen, nach Nürnberg vielleicht oder nach Bamberg; es konnte nicht allzu weit bis zur einen oder anderen sein. Hier draußen würde sie noch jämmerlich zugrunde gehen.
     
    Sie sah an sich herab. Ihr Kleid war verschmutzt; sie sah bestimmt aus wie eine Landstreicherin.
Das bist du doch schließlich,
sagte eine Stimme in ihr.
Worüber willst du dich beschweren?
     
    Als die Dämmerung ihre breiten Schwingen über das Land legte und weit und breit keine Stadt und kein Dorf zu sehen war, sagte Federlin endlich: »Wir sollten uns zur Nacht hinlegen. Für heute reicht es.«
     
    »Und wo bekommen wir etwas zu essen her?«, fragte Maria. »Ich habe schrecklichen

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