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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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betrat, erschauerte er. Das war keine Kirche mehr; sie war von den lutherischen Horden entweiht worden. Es brannte kein ewiges Licht mehr auf dem Altar. Er hatte nicht gewusst, dass auch Bayreuth vom wahren Glauben abgefallen war. Seufzend setzte er sich in die letzte Bank. Wenigstens war die Kirche leer. Ja, wäre es denn so erstaunlich, wenn die Zeit der Welt abgelaufen war? War sie nicht zu einem Tollhaus verkommen, in dem der wahre Glaube mit Füßen getreten wurde, in dem die Heerscharen des Teufels die Städte und Dörfer überschwemmten und Gewalt und Angst das Leben beherrschten? Hier konnte er nicht beten. Er stand auf und ging wieder nach draußen auf den kleinen Vorplatz.
     
    Hier war etwas im Gange. Eine Menschentraube hatte sich um den schlammbespritzten Wagen und die beiden Zugpferde gebildet. Martin sah die Spitzen von Hellebarden und Piken über die Köpfe ragen und im abendlichen Licht gleißen. Er ging an den Auflauf heran. Einige Bürger in pelzbesetzten Wamsen und eleganten Lederschuhen drehten sich nach ihm um, zeigten mit dem Finger auf ihn, und eine neue Unruhe erhob sich. Martin blieb unschlüssig stehen. Jetzt hatten sich alle nach ihm umgedreht; in der Mitte hatten sie eine Gasse gebildet, sodass er ins Herz der Versammlung blicken konnte. Dort standen Teuffel und seine Truppe, und sie wurden bewacht von grimmig aussehenden Stadtwachen. Vor ihnen stand ein unglaublich fetter, großer Mann mit einem dichten braunen Bart und einem vornehmen Pelzmantel, über dem eine schwere silberne und goldene Kette hing. Das konnte nur der Bürgermeister sein. Auch er schaute jetzt durch die frei gewordene Gasse; sein Blick traf Martin wie ein Hammerschlag.
     
    Hass.
     
    Unbändiger Hass. Mit einer Stimme wie ein Berg auf der Wanderschaft brüllte er: »Wir dulden keine Papisten in unseren Stadtmauern! Und Mönche sind die schlimmsten Papisten. Geschmeiß!«
     
    Schon befürchtete Martin, dass sich die Menge auf ihn stürzen werde, doch irgendetwas hielt sie zurück. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass er selbst der Grund für diese murrende Zurückhaltung sein musste. Er spürte, wie er sich geradezu mit Kraft auflud. Selbst Teuffel, der ihn von fern bittend anschaute, blinzelte, als ob er diese Verwandlung nicht begreifen könne. Martin schritt aufrecht und gefasst mitten durch die Menge. Er hörte hier und da ein gezischtes »Papist«, »Scheinheiliger«, »Weihwasserwinsler«, doch es machte ihm nichts aus. Schließlich blieb er vor dem reich gekleideten Fetten stehen. Dieser sagte:
     
    »Ich bin der Bürgermeister, und ich habe etwas dagegen, wenn eine Schauspielertruppe in unserer schönen Stadt für Aufruhr sorgt. Ihr erhaltet keine Genehmigung für eine Aufführung.«
     
    Eigentlich war Martin das recht, aber ihm war die Art des Bürgermeisters zuwider. »Was ist der Grund für Eure Weigerung?«, fragte er mit lauter, rauer Stimme, die kaum seine eigene zu sein schien. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie Maria ihn erstaunt anstarrte. In ihrem Blick lag Bewunderung und etwas, über das er lieber nicht weiter nachsinnen wollte.
     
    »Wir leben in schweren Zeiten, und da sollen meine armen Bürger nicht noch stärker verunsichert werden. Wir haben hier eine schreckliche Hexenplage; unsere Gefängnisse sind voll von diesem Geschmeiß des Teufels, und Angst treibt jeden Einzelnen in der Stadt um. Da können wir auf eure hohlen Darbietungen gern verzichten.«
     
    »Im Gegenteil«, wagte Teuffel zu sagen. »Wir können Euch und Eure Bürger von den Sorgen Eures Alltags ablenken. Überlegt doch, welch ein lustiges Spiel wir gerade für Euch ausgesucht haben: Es ist das Spiel vom Antichrist, das sich aber ganz heftig gegen die Papisten richtet. Auch der Papst spielt mit, und er kommt nicht gut weg bei der ganzen Sache, das kann ich Euch versprechen.« Er kicherte.
     
    »Und was sagt euer Mönch zu einem solchen Spiel?«, brummte der Bürgermeister.
     
    »Ich bin kein Mönch«, sagte Martin zu seiner eigenen Überraschung. »Ich bin einer der Schauspieler, der seine Rolle probt. Ihr könnt Euch gern weigern, uns hier spielen zu lassen, doch damit macht Ihr Euch bei Euren eigenen Leuten lächerlich.« Er sagte noch lauter und an die zuhörenden Bürger gewandt: »Ihr habt nicht viel zu lachen in eurem Leben. Wollt ihr, dass euer Bürgermeister euch auch noch die wenige Freude, die ihr zu erwarten habt, abspenstig macht? Es erwartet euch ein nie gesehenes, deftiges, antipapistisches

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