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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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nun die lang gezogenen, klagenden Laute von Federlins Dudelsack, der diesmal das Spiel mit seiner Musik begleitete. Sie legte sich wie ein weiches, dunkles Tuch über Martins Denken. Ihm war unbehaglich zumute. Er schaute zu den Wasserspeiern hoch, deren dämonische Fratzen im aufspringenden und verblitzenden Licht der Pechfackeln hämisch auf ihn herabgrinsten. Er spürte das Böse, das sie in sich bargen. Was hatte der Bürgermeister noch gleich gesagt? Eine Hexenepidemie? Die Lutherischen waren offensichtlich genauso erpicht auf die Vernichtung dieses Gezüchts wie die Katholischen. Das war beruhigend. Aber Martin spürte das Böse nicht nur in den steinernen Fratzen hoch über ihm. Er spürte es auch in der Dunkelheit, die über der Stadt lag. Er spürte es in den Pflastersteinen und in den spitzgiebeligen Häusern, die sich im Schutze der Finsternis wissend zuzunicken schienen, sowie in den Menschen, die er von dort aus, wo er stand, nicht einmal sehen konnte. Fratzen. Fratzen des Bösen, geifernd nach dem noch Böseren.
     
    Die Musik verstummte. Martin sah, wie Teuffel und Barthel über eine kleine Leiter von hinten auf die Bühne kletterten. Teuffel trug ein weißes Gewand; er spielte in dieser ersten Szene den lieben Gott. Barthel war in seinem roten Kostüm mit dem Papierschwanz und der Mistgabel unschwer als der Teufel zu erkennen. Zwischen den beiden entspann sich ein Disput über die Zukunft des verderbten Menschengeschlechts, der entsetzlich steif und hölzern klang; keiner der beiden schien seine Rolle ernst zu nehmen. Schließlich wurde entschieden, dass der Teufel von Gott die Erlaubnis erhielt, die Menschen zu verführen. Wenn es ihm gelänge, so würde als sein Lohn der Antichrist auf die Erde kommen und das Feld für den Teufel bestellen, auf dass er nach dem tausendjährigen Reich des Antichrist, wie es in der Apokalypse vorhergesagt war, die Herrschaft über die Welt antreten konnte – oder über das, was dann noch von ihr übrig war.
     
    Diese Worte sandten heftige Schauer an Martins Rücken entlang.
     
    Er konnte nicht glauben, dass er dieses Spiel rein zufällig mitbekam. Doch was wollte Gott ihm damit sagen?
     
    Dann schickte der Teufel drei wunderschöne Dämoninnen auf die Welt, die zuerst den Papst – ebenfalls dargestellt von Teuffel –, dann die Bischöfe, die Prälaten und schließlich die einfachen Priester in einen Taumel der Wolllust stürzten und damit ihre Seele verdarben.
     
    Und nun kam Bruder Martins Auftritt. Der Mönch war der Letzte, der von den Mächten der Finsternis verführt wurde, bevor ein junger Bauer in der Gestalt des Adam Desch die Dämonen durch die Höllenpforte zurücktrieb und so die Welt rettete.
     
    Als der junge Mönch auf die Bühne kam, war es, als trete er in eine andere Welt ein. Er sah den schwarzen Höllenrachen, und ihm war, als blitzten in dessen Mitte Augen auf und spiegelten das Licht der unzähligen Pechfackeln. Diese Augen sahen durch seinen Körper hindurch in sein Innerstes, und sie schienen zu verstehen, was sie da sahen. Konnten Augen lachen?
     
    Anna Hänin stand vor ihm. Sie hatte das Oberteil ihres Mieders heruntergeschoben; er sah ihre kleinen, festen Apfelbrüste lockend schaukeln. »Mein Mönchlein, wie fest ist dein Glaube?«, schnurrte sie.
     
    Er sah sie entsetzt an. Das war nicht mehr die Anna Hänin, die er kennengelernt hatte. Ja, sie hatte nicht einmal mehr grüne, sondern gelbe Augen.
     
    »Weiche, Satan, du kannst mir nicht schaden! Ich bin ein Mann Gottes!«, sagte er seinen Text auf. Er war erstaunt, wie echt diese Worte aus seinem Mund klangen. Anna kam auf ihn zu, fasste ihm durch die schwere Kutte in den Schritt und drückte zu. Martin blieb die Luft weg. »Mich verführst du nicht, du Satanshure«, keuchte er. Er wusste nicht einmal, ob das noch sein Text war. »Ich halte dem Teufel stand! Ich verhindere die Ankunft des Antichrist!«
     
    Er sah hinunter in das Publikum. Es war nichts als eine ununterscheidbare Masse, ein unförmiger Moloch mit tausend Augen, der gierig nach Befriedigung lechzte. Und Licht und Schatten zuckten rot und schwarz über diese Masse, über dieses amorphe Gewühl und Gekreisch und über die angrenzenden Häuser, deren Fenster ebenfalls zu Pupillen geworden waren, die zu der Masse dort unten gehörten und mit ihr durch das Band der Finsternis verbunden waren; sie sahen seinem Kampf zu und hofften, dass er ihn verlor.
     
    Anna packte ihm unter die Kutte. Sie tastete unter dem

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