Der schwarze Dom
als seien sie eins.
Paula hatte recht: Bald würde es dunkel werden. Seitdem die Sonne untergegangen war, schien es, als zöge eine dunkle Wolke über ihren Köpfen auf.
»Wir können nicht gehen«, sagte Tracie zu Paula und nahm sie wieder an die Hand.
»Warum denn nicht?«
»Weil mir selbst dann, wenn ich meine grauen Zellen strapaziere, nicht ein einziger Moment einfällt, an dem Tom im letzten Jahr da war«, antwortete Tracie.
»Er ist ein netter Kerl.« Paulas Lippen zuckten. »Mir kommt es so vor, als würde ich ihn kennen.«
Tracie nickte. »So geht es mir auch.«
Rick sagte nichts. Tracie gab ihm den Artikel von Michael Hall zurück. Sie nahm das Brecheisen aus dem Kofferraum. Wenn man sich das Haus näher betrachtete, sah es so aus, als sei die Farbe auf die unbearbeiteten Bretter geschüttet worden. Das Violett verdeckte aber das Alter des Holzes nicht. Das Haus sah aus wie das Gebäude einer Geisterstadt, das sämtliche Geister abschrecken sollte.
Sowohl Haustüre als auch Fenster waren mit Brettern vernagelt, die Fenster jedoch wesentlich nachlässiger. Tracie ging auf das Fenster links neben der Türe zu und schob das Brecheisen unter das oberste Brett. Es war noch ziemlich neu, ungestrichen und mit frischen Nägeln durchbohrt. Auf der Glasscheibe darunter lag so viel Dreck, daß er als Erde hätte durchgehen können. Während die anderen schweigend zuschauten, hebelte Tracie das Brett aus. Das Quietschen der Nägel ließ sie einen Satz zurückmachen. Ihr war nicht bewußt gewesen, wie angespannt sie war.
Über dem Fenster waren drei Bretter. Sie gab sich Mühe, sie zu öffnen, und sie schaffte es. Doch wie sollte sie das Fenster von außen öffnen? Sie zögerte nur einen Moment, bevor sie das Brecheisen durch das Glas rammte. Jetzt schob sich selbst Rick beiseite, und Paula rannte zum Auto, um dort zu warten. Daß sie alleine hineingehen mußte, hätte Tracie sich wohl denken können. Sie griff hinter die Glaszacken, drückte eine Metallklinke hinunter und zog das Fenster hoch.
Die Hausfront lag voll nach Süden hin; das Licht im Westen brachte kaum etwas. Drinnen war es dunkel. Tracie rief Paula zu, sie solle ihr die Taschenlampe aus dem Handschuhfach holen. Als sie mit einem Fuß über das Fenster stieg, die Lampe in den Gürtel gesteckt, gab Rick ihr den Rat, sie solle erst schießen und dann Fragen stellen. Scherzkeks. Sie lächelte ihm zu und bat ihn, nicht ohne sie abzufahren. Ihr Herz hämmerte wie wild.
Es stank. Sie konnte den Geruch nichts zuordnen, das ihr früher schon einmal begegnet war, er hatte aber einen deutlich vernehmbaren Säureeinschlag. Sie richtete sich auf und verharrte absolut regungslos, während ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Sie hatte Angst, sich am Glas zu schneiden, aber sie hatte ohnehin nur dieses eine Gefühl: Angst. Daß sie eine Taschenlampe dabeihatte, hatte sie vergessen. Aber schließlich holte sie sie aus dem Gürtel und knipste sie an.
Das verdammte Ding brauchte natürlich neue Batterien. Der Lichtstrahl war schwach und gelblich. Sie ließ ihn durchs Zimmer wandern, und es stellte sich heraus, daß das Haus innen genauso verfallen war wie außen. Die Deckenbalken lagen frei, ein Haufen von Splittern, und der lose angebrachte Fußboden wartete nur darauf, sie ins Stolpern zu bringen. In der Zimmermitte stand ein viereckiger Holztisch, daneben ein gebrechlicher Stuhl, der noch nicht einmal das Gewicht einer fetten Katze überstanden hätte. Als sie auf ihn zuging, hinterließen ihre Schuhsohlen Abdrücke in einer körnigen Staubschicht.
Auf dem Tisch lag eine ordentlich sortierte Sammlung von Zeitungsartikeln. Als hätte jemand sie zurechtgelegt, um sie in ein Sammelalbum zu kleben. Alt schienen die Artikel nicht. Tracie hielt die Taschenlampe dicht über die Überschriften der Artikel. Als sie erkannte, um was es ging, holte sie tief Luft.
DREIZEHNJÄHRIGE CINDY POLLSTER
ERDROSSELT AUFGEFUNDEN
POLIZEI VERMUTET KIDNAPPING
IM FALL TERRANCE
PÄRCHEN AN BETT GEFESSELT UND ERSTOCHEN
JUNGE BRAUT BEI LEBENDIGEM LEIB GEHÄUTET
Die Zeitungen waren nicht alt. Sämtliche Verbrechen hatten sich innerhalb des vergangenen Jahres ereignet und zwar in einem Umkreis, dessen Mittelpunkt Express war. Tracie brauchte nur ein paar Zeilen über jedes Verbrechen zu lesen, um mitzubekommen, daß es immer mit grauenhafter Folter verbunden war.
Wer hob solche Zeitungsausschnitte auf?
Derjenige, der gefoltert hatte?
Raus aus dem
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