Der schwarze Dom
Carl«, sagte Tom.
Carl wollte sich losmachen. Genausogut hätte er versuchen können, sich aus einer Bärenfalle zu befreien. Tom zerrte ihn zum Wagen, warf ihn hinten drauf und kletterte neben ihn. Cessy drehte den Zündschlüssel um und ließ den Motor aufheulen. Sie jagten vom Weg hinunter und hinein in die Einöde. Davey lehnte den Kopf aus dem Fenster und brüllte den Himmel an. Cessy ließ die Lichter aus und drückte das Gaspedal durch bis zum Bodenblech. Wenn Tom ihn nicht auf die Ladefläche gepreßt hätte, wäre Carl mit Sicherheit hinuntergeflogen.
Sie fuhren etwa eine halbe Stunde lang. Für Carl lange genug, um zu begreifen, daß diese Leute nicht seine Freunde, sondern offensichtlich gerade dabei waren, ihn umzubringen. Diese Erkenntnis brachte eine weitere mit sich: Es war möglich, aus einem Alptraum zu erwachen und zu begreifen, daß dieser weiter andauern würde. Er brauchte bloß Toms teilnahmsloses Gesicht anzuschauen, um zu sehen, daß das stimmte. In seinem Traum vom Damm und der Flut hatte Carl auf dem Gesicht des Monsters einen ähnlichen Ausdruck gesehen.
Ähnlich. Aber nicht den gleichen. Tom war nicht das Monster, das über dem reißenden Strom auf ihn zugeglitten war. Wenn er es doch war, trug er noch immer eine Maske. Sein bester Freund Tom. Wie kam es, daß er sich nicht an das Spiel erinnerte, in dessen Verlauf Tom verletzt worden war? Er konnte sich die ganze Sache doch nicht einfach bloß eingebildet haben. Hier ging es um alles, um die Pfeiler seines ganzen Lebens. Er und Tom hatten den Unfall oft genug ausführlich besprochen.
Natürlich war sonst niemand bei der Diskussion dabeigewesen. Kein Mensch sonst sprach überhaupt mit Tom. Außer Cessy und Davey.
Wahrscheinlich waren sie allesamt verrückt. Er selbst eingeschlossen.
Das hieß allerdings nicht, daß er bereit zum Sterben war. Ganz und gar nicht. Der Gedanke an den Tod versetzte ihn in Panik. Er mußte fliehen. Er mußte nachdenken. Womit hatte er es hier zu tun? Waren das hier überhaupt Menschen? Jeder von ihnen hatte ungewöhnliche Fähigkeiten und Eigenschaften bewiesen. Cessy hatte sich zehn Pfund Essen hineingestopft, seit sie mit der Schnitzeljagd begonnen hatten. Davey besaß eine übermenschliche Schnelligkeit. Und Toms Griff hätte wohl noch nicht einmal von einer Stange Dynamit gesprengt werden können. Worauf lief das hinaus? Auf Vampire, die vom Blutsaugen langsam die Nase voll hatten? Wenn sie nicht vorher gerade Eis gegessen hätte, hätte Cessy ihm beim Küssen wahrscheinlich die Zunge abgebissen. Andererseits hatte sie auf dem Hügel offensichtlich versucht, ihn zu warnen.
Willst du zurück?
Ein deutliches »Mach bloß, daß du hier wegkommst«, wäre ihm lieber gewesen.
»Ihr seid komische Leute«, sagte er zu Tom.
Tom reagierte nicht, mal davon abgesehen, daß er seinen Griff so verstärkte, daß Carl echten Schmerz verspürte. Carl beklagte sich jedoch nicht. Er wollte den beiden vor ihnen keinen Grund zum Lachen geben.
Als sie endlich anhielten, ließ Tom ihn los. Das Blut strömte in Carls abgeschnürten Arm, und er seufzte erleichtert. Sie waren weiter hinaufgefahren. Ein milchweißes Licht glänzte östlich am Horizont. Der Mond würde bald aufgehen. Als er vom Wagen hinabstieg, war er überrascht wie bekannt ihm der Ort vorkam. Eine wilde Urlandschaft. Carl hätte es nicht verwundert, wenn jetzt hinter einem Höhenzug ein prähistorisches Tier aufgetaucht wäre.
»Wo sind wir?« fragte er.
»Rust Valley«, gab Davey zurück. Dabei kam er langsam auf ihn zu und hielt dabei etwas in der Hand, das verblüffend einem Gewehr ähnelte. Nämlich dem, das Carl für die seltenen Gelegenheiten, zu denen er Scheibenschießen ging, in der verschlossenen Werkzeugkiste hinten auf seinem Wagen aufbewahrte.
Doch derjenige, der über Valta recherchierte, brachte genug Fakten zusammen, um herauszubekommen, daß die Mine etwa fünfzig Meilen südlich von hier liegen muß, in der Nähe von Rust Valley.
»Schürfen wir nach Gold?« fragte Carl mit Blick auf Cessy, die das Gesicht zum Mond hin gewandt hatte. Das blasse Licht verlieh ihrer normalerweise sonnengebräunten Haut eine fast außerirdische Transparenz.
»Nicht wirklich«, sagte Davey und kam näher. »Wir wissen schon, wo der Schatz liegt. Wir wollen bloß, daß du ein bißchen für uns buddelst.«
»Tut mir leid«, meinte Carl. »Ich arbeite nicht für umsonst.«
Hatte Carl noch irgendwelche Zweifel an den übermenschlichen Reflexen
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