Der schwarze Korridor
einfach hinter dir. Dein ständiges Gerede von Pragmatismus ist Scheiße. Du fliehst, wie mein alter Herr. Vielleicht erfolgreicher, vielleicht schaffst du es sogar.«
Sie fuhren durch Stockwell. Die Sonne ging unter, aber die Straßenbeleuchtung ging nicht an.
»Du fühlst dich schuldig, weil du mich fallen läßt. Stimmt’s?« sagte er. »Deshalb diese Anklage?«
»Nein, du bist ein guter Fick, aber dein Charakter hat mich nie interessiert.«
»Heutzutage wirst du ganz schön lange nach einem besseren suchen müssen.« Er wollte einen Scherz machen, aber es war offensichtlich, daß er daran glaubte.
»Selbstgefällig und überheblich«, sagte sie.
»Ich glaub’, ich laß dich jetzt hier ‘raus. Soll ich?« Er hielt den Wagen an.
Sie starrte in die Dunkelheit. »Wo ist hier ?«
»Balham«, sagte er.
»Hör auf mit deinen Spielchen. Du wolltest mich nach Croydon fahren, erinnerst du dich?«
»Ich bin dein Gerede leid, Liebling.«
»Gut, ich verschließe meine Lippen.« Sie lehnte sich zurück.
»Ich verspreche es. Ich werde bis Croydon kein Wort mehr sa gen, und dann auch nur Danke schön.«
Aber sein Entschluß war gefaßt, es war nicht Boshaftigkeit, es war Selbstschutz. Er tat es für Josephine und die Kinder und für die Gruppe. Ihm gefiel keineswegs, was er tat.
»Raus aus dem Auto, Sarah.«
»Du fährst mich jetzt sofort nach Hause, wie du es versprochen hast.«
»Raus.«
Sie schaute in seine Augen. »Mein Gott, Ryan …«
»Los.« Er stieß sie an der Schulter, beugte sich über sie und öffnete die Tür. »Los, raus.«
»Um Himmels willen, ich geh’ ja.« Sie nahm ihre Handtasche vom Sitz und stieg aus. »Eine richtiggehend klassische Situation«, sagte sie. »Mir allerdings zu klassisch. In dieser Gegend tobt sowieso schon der Kampf der Geschlechter.«
»Das ist dein Problem«, sagte er.
»Ich werde das kaum lebend überstehen, Ryan.«
»Auch dein Problem.«
Sie holte tief Atem. »Ich erzähle auch niemand von der verrückten Rakete, wenn es dich beruhigt. Wer würde mir denn auch glau ben?«
»Ich habe eine Familie und Freunde, um die ich mich kümmern muß. Sie glauben mir, Sarah.«
»Du Arschloch«, sie verschwand in der Dunkelheit.
Sie mußten bereits auf sie gewartet haben.
Sie schrie. Sie rief ihn um Hilfe. Ihr zweiter schriller Schrei brach plötzlich ab.
Ryan schloß die Tür des Wagens und verriegelte sie. Er startete den Motor und machte die Scheinwerfer an.
Im Licht der Scheinwerfer sah er ihr Gesicht. Es erhob sich über der schwarzen Masse der Antifems in ihren mönchsartigen Kutten.
Er sah nur ihr Gesicht.
Ihr Körper lag auf dem Boden und umklammerte noch ihre Handtasche, ihr Kopf war auf eine Stange gespießt.
Kapitel 17
Ryan liegt in seiner Koje mit seinem Logbuch und einem Kugelschreiber. Seit zwei Tagen liegt er nun im Bett. Von Zeit zu Zeit kommt John herein, stört ihn aber nicht, da er merkt, daß er allein gelassen werden will. Er läßt Ryan sich sogar sein Essen selber holen und kümmert sich nur um die Schiffsroutine. Um sicher zu sein, daß Ryan sich ausruht, hat er sogar den Schirm in Ryans Kabine abgeschaltet.
Ryan verbringt die meiste Zeit mit seinem Logbuch. Er hat es eigentlich nur mitgenommen, um zu verhindern, daß John es entdeckt. Er überfliegt noch einmal die erste Eintragung, die er hier in seiner Kabine gemacht hat:
Was ich Sarah angetan habe, war gerechtfertigt, denn sie hätte das Projekt scheitern lassen können. Ich mußte sicher gehen. Die Tatsache, daß wir alle in Sicherheit und auf unserer Reise sind, ist der Beweis, daß ich die richtigen Vorsichtsmaßnahmen getroffen habe. Wir vertrauten nur der Gruppe und sorgten dafür, daß unsere Vorbereitungen geheim blieben. Wir hielten nur zu der russischen Gruppe Kontakt.
Manchmal frage ich mich, ob ich genauso gehandelt hätte, wenn sie mir nicht den Laufpaß gegeben hätte. Ich weiß nicht. Wenn man die äußeren Umstände bedenkt, so habe ich mich nicht schlechter, nicht unmenschlicher benommen als jeder andere auch. Teuer muß man mit Teuer bekämpfen. Und dies und verschiedenes andere belastet nur mein Gewissen. Josephine, die Kinder und die meisten anderen der Gruppe sind sauber geblieben …
Er seufzt beim Lesen der Einleitung.
»Alles in Ordnung, alter Junge?«
John ist, leise wie immer, eingetreten. Er sieht müde aus.
»Alles in bester Ordnung.« Ryan schließt schnell das Buch. »Und wie geht es dir?«
»Ich komme zurecht. Wenn etwas schief geht,
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