Der schwarze Magier
Hexerei?«
»Nein, es ist Anwendung des Wissens. Entweder Ihr vertraut mir oder Ihr überlasst Eure Tochter Euren Ärzten. Mehr kann ich Euch dazu nicht sagen.«
Es klang endgültig und Rupert war nicht gewillt, weiter mit dem Sultan über seine Religion zu diskutieren.
Seufzend erhob sich Saladin und Rupert erhob sich ebenfalls sofort. Der Sultan klatschte in die Hände, die Wachen betraten den Raum. Sie warfen Rupert argwöhnische Blicke zu.
»Zum Harem!«, befahl der Herrscher.
Die Tochter des Sultans war für Rupert eine einzige Enttäuschung. War er bis dahin noch neugierig, was sich unter den dichten Schleiern verbarg, so schalt er sich nun selbst einen Narren, insgeheim den einfältigen Reden der abendländischen Ritter geglaubt zu haben. Aimee war weder besonders hübsch noch besonders hässlich. Sie war fast noch ein Kind, ziemlich klein, hatte dunkle Haut und schwarze Leberflecken im Gesicht. Ihre Augen hielt sie schamhaft gesenkt, als sie sich auf Geheiß ihres Vaters vor Rupert entkleidete. Er untersuchte sie gründlich und befragte sie eingehend. Die Symptome waren diffus, er stellte eine leichte Störung der Verdauung fest, die Augäpfel waren etwas gelblich verfärbt und die Schleimhäute blass. Im rechten Oberbauch verspürte sie einen Druckschmerz. Erstaunt bemerkte er, dass sie keinerlei Körperbehaarung aufwies, ihr Kopfhaar jedoch voll und von tiefem Schwarz war. Auch besaß sie dichte, geschwungene Augenbrauen und lange, seidige Wimpern.
»Hattet Ihr eine Krankheit in der Vergangenheit, die Euch des Haares beraubte?«, wollte er wissen.
Sie schüttelte verschämt den Kopf. »Es ist doch Sitte, das Körperhaar zu entfernen, Herr. Es wird bei jedem Bad gemacht.«
»Ihr badet? Wie oft?«
»Fast täglich. Es dient der Reinigung und Entspannung zugleich.«
Rupert nickte zufrieden und ließ das Mädchen sich wieder ankleiden. Er setzte sich neben sie, hinderte sie jedoch daran, den Schleier anzulegen. »Wenn ich Euch behandle, dann dürft Ihr keinen Schleier tragen, Prinzessin. Was Euch quält, ist keine Krankheit des Körpers, sondern eine Krankheit der Seele. Man nennt es Traurigkeit des Herzens. Aber sie kann den Körper krank machen, als hättet Ihr etwas Unrechtes gegessen. Eure Traurigkeit kommt daher, dass Ihr wie in einem Käfig lebt. Es mag ein goldener Käfig sein, aber Ihr fühlt Euch gefangen.«
Die Prinzessin riss die Augen auf und starrte Rupert überrascht an. Dann besann sie sich, dass es zutiefst unschicklich war, und senkte den Blick. »Ich habe noch nie darüber nachgedacht, Herr. Schon immer lebe ich im Harem, es ist so Sitte in unserem Land. Es dient dem Schutz der Frauen vor der gefährlichen Welt da draußen.«
»Schutz der Frauen? Was sollte Euch geschehen, wenn Ihr diesen Palast verlasst?«
»Ich weiß es nicht, Herr. Ich war noch niemals da draußen.«
»Und möchtet Ihr diese Welt nicht kennen lernen? Wollt Ihr nicht frei sein? Wollt Ihr nicht das Gesicht dem Wind zudrehen?«
Erschrocken wich die Prinzessin zurück. »Niemals! Ich würde sterben. Nur die Männer können in dieser Welt da draußen überleben.«
Rupert schüttelte den Kopf. »Ihr kennt diese Welt nicht, deshalb fürchtet Ihr sie. Aber tief in Eurem Herzen fühlt Ihr Euch gefangen und sehnt Euch danach, allen Fesseln zu entfliehen.«
Aimee senkte den Kopf und schwieg. Rupert setzte sich ihr gegenüber und ergriff ihre Hand.
»Jetzt vergesst, dass ich ein Mann und ein Fremder bin. Schaut mir ganz tief in die Augen und lasst Euren Gedanken freien Lauf. Ihr fühlt Euch wie ein Vogel, habt weiße Schwingen und leichte Federn. Über Euch wölbt sich der Himmel in tiefem Blau und ein sanfter Wind streichelt die Wedel der Palmen. Ein Sonnenstrahl trifft auf die goldenen Stäbe Eures Käfigs. Ihr wollt frei sein, Euch erheben hinauf in die Kuppel des Himmelszeltes, der Sonne entgegen, mit den Wolken fliehen. Und eine Hand öffnet Euch die Tür, der Käfig steht offen. Schüttelt Eure Federn, breitet Eure Schwingen aus. Es ist leicht, ganz leicht, sich in die Lüfte zu erheben. Lasst alles hinter Euch, unter Euch, denn Ihr fliegt hinauf, in die Sonne, in die Freiheit. Seht Ihr, wie die Welt unter Euch immer kleiner wird, die Häuser, die Bäume, die Sorgen, Euer Gefängnis? Der Wind trägt Euch hinauf und ein heller Gesang der Freude perlt aus Eurer Kehle. Ihr jubelt, Ihr trillert wie eine Nachtigall, Euer Herz wird leicht wie der Wind, Eure Seele klar wie die Luft. Freiheit ist süß, Freiheit
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