Der schwarze Magier
Schultern. »Ich weiß nicht, was Ihr meint, Mylady.«
»Ihr wisst es sehr wohl«, entgegnete sie.
Er atmete tief ein, dann blickte er ihr tief in die Augen. Sie spürte eine seltsame Schwäche in sich und befürchtete wieder, die Macht über ihren Willen zu verlieren. »Spürt Ihr meine Macht über Euch?«, hörte sie seine leise Stimme.
Sie ging ihr unter die Haut. Mechanisch nickte sie. Sie sah sein breites Lächeln, dann schob er sie zurück. »Das kann ich mit jedem Menschen machen. Ich habe Macht über die Seelen.«
»Dann seid Ihr der Teufel!«
»Unsinn!« Er zog ärgerlich die Brauen zusammen. »Das sagen diejenigen, die es nicht verstehen. Jeder Mensch mit einem starken Willen kann einen anderen auf diese Weise beeinflussen. Wenn Ihr Euch dagegen wehren würdet, hätte ich es bedeutend schwerer.« Ein spöttisches Lächeln umspielte nun seine Lippen. »Aber es wäre mir trotzdem nicht unmöglich.«
»Dann sagt mir, habt Ihr mich am Bach geküsst?«
Immer noch lächelnd, wandte er sich von ihr ab. »Wie hättet Ihr es denn gern?«, fragte er über die Schulter.
»Die Wahrheit.«
»Die Wahrheit ist relativ. Was für eine Wahrheit wünscht Ihr Euch?«
»Dass es ein Kuss war«, flüsterte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Ist es die Wahrheit, wenn Ihr es geträumt hättet, oder ist es die Wahrheit, wenn ich Euch wirklich geküsst hätte?«
Sie überlegte kurz. »Natürlich, wenn Ihr mich richtig geküsst hättet.«
»Irrtum! Ihr habt diesen Kuss auf Euren Lippen gespürt, Ihr wart erregt, Euer Herz hat geklopft. Ihr habt es geträumt, weil Ihr es Euch gewünscht habt. Insofern ist dieser Kuss ebenso wahr wie einer, den ich Euch gegeben hätte.«
Enttäuscht verzog sie die Mundwinkel. »Ihr habt mich wirklich nicht geküsst?«
Er lachte wieder, doch er gab ihr keine Antwort. »Ihr wart doch so überzeugt davon. Muss es dann nicht wahr gewesen sein?«
Ein Hoffnungsfunke glomm in ihrem Blick auf. »Also war es doch wahr?«
»Für Euch war es wahr, für mich nicht.«
»Zum Teufel, spielt nicht solche grausamen Spiele mit mir. Verdammt, ich will einen Kuss von Euch! Und wenn Ihr ihn mir nicht freiwillig gebt, dann werde ich ihn mir eben holen!«
Rupert wollte etwas erwidern, als ein Bote um Einlass bat. Der Reiter war verschmutzt und verschwitzt, doch seine wachen Augen eilten zwischen Rupert und Lady Gwendolyn hin und her.
»Sir Rupert de Cazeville? Lady Gwendolyn de Valbourgh? Eine Botschaft des Königs.« Er beugte leicht den Kopf und reichte ein versiegeltes Pergament herüber.
»Welches Königs?«, fragte Rupert, ohne sich zu rühren. Mit zwei Schritten war Gwendolyn bei dem Boten und nahm ihm die Rolle ab. Hastig erbrach sie das Siegel und rollte das Pergament auf. Ihre Augen überflogen die Zeilen, dann ließ sie den Brief sinken. »Er ist von Richard, Herzog von Aquitanien und König von England!«
In Rupert zog sich etwas schmerzhaft zusammen. »Und?«, fragte er mit einem unguten Gefühl.
Über Gwendolyns Wangen breitete sich eine freudige Röte aus und sie hob ihren Blick zu Rupert, überrascht und erregt. »Er lädt uns ein auf seine Burg Château-Gaillard. Uns beide!«
Das Schloss an der Seine
Château-Gaillard lag malerisch über einer Schleife der Seine. Die Festung schien nach den modernsten Gesichtspunkten der Verteidigungskunst gebaut zu sein und erinnerte etwas an die palästinensischen Kreuzfahrerburgen. Rupert musste zum wiederholten Male eingestehen, dass Richard auf seine Weise genial war. Obwohl er glaubte, dass er König Richard niemals wieder von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen würde, hatten ihn seine häufigen Visionen und Träume eines Besseren belehrt. Er hätte es wissen müssen, er wollte es nur nicht wahrhaben. Rupert spürte Unheil, dunkle Wolken, doch er sah nicht, wen sie betrafen.
Gwendolyns Vater war Lehnsherr des englischen Königs und so konnte Gwendolyn sich natürlich nicht dagegen wehren, dass Richard sie zu sich rief. Der Tod ihres Vaters forderte eine Entscheidung über das Lehen. Entweder würde Richard es ihr entziehen und sie mit einem reichen Ritter oder Grafen verheiraten, oder sie bekäme einen Mann an ihre Seite, der ihr Erbe übernahm. Die so kämpferische Gwendolyn war in die Defensive gedrängt, doch sie ließ es sich nicht anmerken. Sie war stolz darauf, dass Richard ihr Schicksal persönlich in die Hand nahm.
Dass Rupert ebenfalls eingeladen worden war, erschien ihr nur zu selbstverständlich. Verwegene Abenteuer,
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