Der Schwarze Mandarin
noch einigen.« Min Ju rieb sich freudestrahlend die Hände. Der Kellner brachte den Wok herein. Ein großes, rundes Gefäß mit drei Spiritusheizern. Der Duft, der sich sofort im Zimmer ausbreitete, war verlockend und ließ einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. In einem Silberkessel dampfte der körnige Reis.
»Es lebe Kuan Yin, die Göttin der Gnade!« rief Min Ju begeistert. »Ist Zou Shukong nicht ein genialer Koch? So kannst du nur im ›Schwarzen Mandarin‹ essen!« Er blickte wieder, plötzlich ernst geworden, zu Rathenow hinüber. »Die Göttin Kuan Yin ist nicht nur die Göttin der Gnaden, sondern auch die Frau des Gottes Kuan Kung, dem Kriegsgott der Chinesen. Wenn ich sie lobe, lobe ich auch Kuan Kung, denn wir Triaden sind immer im Krieg! Wir haben viele Feinde, von denen die Polizei der geringste ist. Aber das wirst du alles noch lernen. Vor allem die ›Familie der grünen Laternen‹ ist immer in Gefahr.«
»Grüne Laternen?«
»So heißen bei uns die Puffs!«
»Ich denke rote Laternen?«
»Das ist die westliche Meinung. Grün ist für den Chinesen die Farbe des Lebens, der Freude, des jungen Frühlings, des Blühens, die Gegenwart von Ruhe und Frieden. Und was gibt uns eine Hure? Freude und das Gefühl, im Frühling zu sein. Ihr sagt doch auch Freudenmädchen.«
»Ich habe in China gehört, daß man sie ›Hühnchen‹ nennt.«
»Das ist volkstümlich. Poetisch heißen sie die ›Familie der grünen Laternen‹. Und da beginnen unsere Sorgen. Die italienische Mafia, die Russen, Polen und Türken, alle wollen sie am Bumsen verdienen und organisieren sich – gegen uns! Aber das ist nicht dein Gebiet, du gehörst zur Schutzgeld-Familie.« Min Ju blinzelte Rathenow kumpelhaft zu. »Aber wenn du es mal nötig hast – als Bruder kannst du es umsonst haben. Wir haben eine große Auswahl. Melde deine Wünsche an – nur ein zufriedener Mitarbeiter ist ein guter Mitarbeiter.«
»Danke. Ich habe keinen Bedarf an Huren.«
»Du mußt es wissen.« Min Ju fischte aus dem Wok Hühnerfleisch und ein langblättriges Gemüse, das dunkelgrün glänzte. »Ich wiederhole: Mittwoch in acht Tagen beginnt deine Ausbildung. Hier im ›Schwarzen Mandarin‹. Abends um 22 Uhr.«
»So spät?«
»Dein Lehrer ist am Mittwoch unterwegs – er kann nicht früher.«
»Und wie gliedert sich der Lehrplan?« fragte Rathenow wieder spöttisch. »Ist Kung-Fu auch dabei?«
»Nicht für dich. Nur ein Chinese begreift Kung-Fu. Du hast als Europäer nicht die Gabe, dich von deinem Körper zu lösen und alle Kraft aus dem Geist zu empfangen. Ihr seid alle zu plump – und außerdem bist du schon zu alt, um Kung-Fu zu lernen. Deine Knochen sind wie aus Glas und zerbrechlich geworden.«
»Sie beherrschen Kung-Fu, Min Ju?«
»Beherrschen? Nein. Das kann nur ein Shaolin. Auch ich bin zu alt, um noch körperlich zu kämpfen. Wie alt schätzt du mich?«
»Ende Vierzig.«
»Danke für das Kompliment. Ich bin ein Jahr älter als du.«
»Neunundfünfzig? Unglaublich.«
»Ein zufriedener Mensch besiegt die Zeit. Und ich bin zufrieden. Wer kann das schon von sich sagen? Nur wenige unter uns.«
»Wie lange sind Sie schon in Deutschland?« fragte Rathenow.
»Sehr lange.« Min Ju beschäftigte sich eingehend mit einem Stückchen Hühnerbrust. »Ich war einer der ersten Chinesen in München. 1975 bin ich von Hongkong herübergekommen und habe hier ein Geschäft für chinesische Kultur eröffnet. Buddha-Figuren, Tafelschnitzereien, Lampen, Jade-Figuren, Rollbilder, Scherenschnitte, Kleinmöbel aus Rosenholz, Teppiche, den noch weitgehend unbekannten Wok und den Mongolentopf, Seidenblusen und -kleider, Fächer und bestickte Decken – ich habe mit allem gehandelt, was einem Deutschen als ›typisch chinesisch‹ erscheint. Ich war ein Vorreiter, ein Wegbereiter, ein Stoßtrupp für die vielen Landsleute, die dann nach und nach in Deutschland Fuß faßten und vor allem Restaurants gründeten. Chinesisch essen, das galt damals als schick – nicht so wie heute. Heute ist die chinesische Küche – die beste der Welt – längst Bestandteil der europäischen kulinarischen Szene. Du warst doch auch schon in chinesischen Restaurants?«
»Oft sogar. Aber was man hier als ›chinesisch‹ bezeichnet, hat wenig gemein mit dem wirklichen Essen in China.«
»Wir gleichen uns an – das ist unsere Stärke, unser Erfolgsgeheimnis. Der Gast soll exotisch essen und doch das Gefühl haben, zu Hause zu sein. Kannst du dir vorstellen, daß man
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