Der Schwarze Mandarin
atmete auf, als sie das Haus verlassen hatte. Er griff zum Telefon, das neben seinem Bett stand, und rief das Lokal ›Der Schwarze Mandarin‹ an. Da es noch nicht geöffnet hatte, war Chefkoch Zou Shukong am Apparat:
»Hier ›Der Schwarze Mandarin‹.«
»Hier Rathenow.«
Zou Shukong schaltete sofort. Mit größter Höflichkeit sagte er: »Grüß Gott, Herr Doktor. Ich stehe zu Ihren Diensten.«
Wenn das Telefon von der Polizei abgehört werden sollte, speicherte das Tonband nur völlig harmlose Gespräche. Von Chinesen wurde Min Ju nie angerufen, und taten sie es doch einmal, weil es dringend war, dann sprachen sie im Dialekt des Volkes von Nenjiang, das kein Polizeidolmetscher kannte.
»Ich muß leider meinen Besuch morgen abend absagen. Ich bin verhindert. Können Sie meinen Gast, Herrn Min, erreichen?«
»Ich werde es versuchen.«
»Verständigen Sie bitte Herrn Min. Wir können uns frühestens in acht Tagen wiedersehen. Es tut mir leid.«
»Ich werde Herrn Min Bescheid sagen. Guten Tag, Herr Doktor.«
Zou Shukong legte auf und ließ das Haustelefon klingeln. Min Ju war im Tempel und betete. Ein Triade zu sein, schließt nicht aus, ein gläubiger Mensch zu sein.
Auch bei der italienischen Mafia knien bei der Sonntagsmesse in der Kirche die Mitglieder in den ersten Reihen und lassen sich segnen, und es ist bekannt, daß die ›Vollstrecker‹, die gnadenlosen Killer, zu den eifrigsten Betern gehören und bei den Fronleichnamsprozessionen den brokatenen Himmel über der Monstranz tragen. Auch im Kirchenchor singen sie mit das Lob des Herrn. Daß Min Ju in seinem eigenen unterirdischen Tempel betete, war also nichts Absurdes.
Min hörte die Meldung des Chefkochs und betete weiter. Er lag auf den Knien, beugte den Oberkörper weit nach vorn, berührte mit der Stirn den Boden mit den wertvollen Teppichen und wiederholte das dreimal, ehe er sich erhob. Dann zündete er drei stark riechende Räucherkerzen an, legte die Hände aneinander und verbeugte sich noch einmal vor der goldenen Buddhafigur.
In seinem Büro war er dann wieder der kalte Geschäftsmann, der Daih-Loh der Münchener Gruppe der 14K. Vor seinem Gebet hatte er die Morgenzeitung gelesen und daraus erfahren, daß Ninglins und Bai Juan Fas Aktion im ›Lotos‹ erfolgreich gewesen war. Da alle Zeitungen darüber berichteten und das gräßliche Geschehen den Triaden zuschrieben, war Min Ju in bester Stimmung. Eine bessere Warnung für alle chinesischen Unternehmer in München konnte es nicht geben. Wenn ab jetzt die Grassandalen erschienen, würden sie nur Zahlungswillige antreffen; es gab keine Diskussion mehr und keine Widerstände. Wenn der Cho Hai sich durch sein Handzeichen zu erkennen gab, dann würden die Kassen wie von selbst aufspringen. Noch stand Ninglins Bericht aus, aber Min Ju brauchte ihn auch gar nicht, um zufrieden zu sein.
Nun aber sagte ihm Zou Shukong, daß Bai Juan Fa über eine Woche nicht mehr zur Verfügung stand. Was war da geschehen? Was hieß ›Ich bin verhindert‹? Das machte Min nervös. Hatte es am Abend doch Schwierigkeiten gegeben? Hatte man sie beobachtet? Gab es Zeugen? Wenn ja, warum lebten sie noch? Fragen, die Min Ju unruhig werden ließen.
Er wartete den Besuch von Ninglin, der zur Mittagszeit, wenn Hochbetrieb im Lokal herrschte, angesetzt war, nicht mehr ab, sondern setzte sich in seinen Wagen – diesmal war es ein Zwölf-Zylinder-Jaguar – und fuhr hinaus nach Grünwald. Es war genau die Zeit, in der Schwester Irene zum Einkaufen gefahren war. Rathenow wollte gerade den Hörer aufnehmen, um Dr. Freiburg anzurufen. In diesem Augenblick klingelte es an der Haustür. »Sie rühren sich nicht!« hatte Schwester Irene befohlen.
Es klingelte noch einmal. Diesmal länger.
Ich bin nicht zu Hause, dachte Rathenow. Aber wenn es nun ein Eilbrief war? Oder ein Paket? Eine Eilnachricht von seinem Verleger: wann können wir mit Ihrem neuen Buch über die unbekannten Minderheiten in China rechnen? Nein! In so einem Fall rief man an, aber fragte nicht schriftlich nach.
Klingeln. Diesmal ließ der Besucher den Finger auf dem Klingelknopf liegen.
Ich kann nicht, wer du auch bist! Hau ab! Ruf an! So wichtig wird es ja nicht sein.
Das Klingeln hörte auf. Rathenow atmete tief durch. Na also, endlich siehst du es ein. Aber er hob den Kopf, als wenig später Schritte auf der Treppe zu hören waren. Irene ist zurück. Gott sei Dank! Rathenow streckte sich aus, so brav, wie es Schwester Irene erwartete, und schloß
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