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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Augen, als schlafe er.
    Er hörte die Schlafzimmertür klappen. Schritte näherten sich seinem Bett, aber dann roch er einen Hauch von Parfüm, von Rosenduft – das konnte unmöglich Schwester Irene sein! Bevor er die Augen aufriß, traf ihn eine tiefe Stimme wie ein Schlag:
    »Was ist passiert, Bai Juan Fa?«
    »Min Ju!« Rathenow schnellte im Bett hoch. Min Ju ergriff seine Schulter und drückte ihn zurück.
    »Wie kommen Sie ins Haus?«
    »Ich kenne die Schwächen deutscher Häuser. Die Hintertür von der Küche in den Garten war nicht abgeschlossen. Die wird meistens vergessen.« Min Jus Blick glitt über Rathenows Körper. »Ich habe die Nachricht von Zou Shukong erhalten und bin sofort zu dir gefahren. Hat es gestern im ›Lotos‹ doch Schwierigkeiten gegeben?«
    »Nein. Ninglin hat gut gearbeitet.« Es klang ungeheuer bitter.
    »Warum liegst du dann im Bett?«
    »Ich bin verletzt! Das Schienbein ist fast zertrümmert, der Oberschenkel blau wie mit Tinte beschmiert.«
    »Laß sehen!« Min Ju zog die Decke weg, betrachtete die Verletzungen fachmännisch und deckte Rathenow dann wieder zu. »Wie ist das passiert?«
    »Ninglin hat mich fast zum Krüppel getreten.«
    »Ohne Grund?«
    »Ich habe mich geweigert, einem Mord zuzusehen. Aber er hat mich dazu gezwungen. Mit Tritten.«
    »Bai Juan Fa, ein Triade weigert sich nie, einen Auftrag auszuführen, auch wenn er nur zuschauen soll. Ich habe dich gewarnt … erinnerst du dich?«
    »Min Ju, ich werde nie die Menschenverachtung haben wie ein Chinese, für den töten nichts Besonderes ist.«
    »Weil dir der Glaube an die Wiedergeburt fehlt«, sagte Min Ju ruhig. »Wir sterben in der Gewißheit, auf die Erde zurückzukommen. Auch wenn wir getötet werden, wird der Kreislauf nicht unterbrochen. Wir gehen und kommen – der Tod ist kein Mysterium für uns, hat keine Endgültigkeit. Wir wissen, daß Leben nur ein winziger Teil unseres wirklichen Daseins ist. Und auch die Wiedergeburt ist nur ein kurzer Spaziergang durch das Irdische, weil wir Kinder des Himmels sind.« Min Ju setzte sich auf die Bettkante. »Ich werde dich bestrafen müssen, Bai Juan Fa.«
    »Ich kann dich nicht daran hindern.«
    »Es ist einzusehen, daß du uns mit diesen Verletzungen eine Woche lang nicht dienen kannst. Du bist beurlaubt. Und deine Strafe? Du weißt, daß sie Liyun trifft.«
    »Nein!« Rathenow zuckte wieder hoch im Bett. »Laß Liyun in Ruhe! Schneid mir einen Finger ab, oder was sonst eure Bestrafung ist. Aber faß Liyun nicht an!«
    »Wir werden darüber noch beraten. Ich muß mit dem Gao Lao in Amsterdam reden. Warte also ab.«
    Auf der Treppe erklangen feste Schritte. Schwester Irene war zurück. Min Ju sprang sofort auf.
    »Wer ist das?« flüsterte er.
    »Schwester Irene. Sie betreut mich, bis ich wieder gehen kann.«
    »Sie wird mich gleich sehen – damit ist ihr Leben zu Ende!«
    »Min Ju, sie ist harmlos.«
    »Kann ich hier aus dem Zimmer verschwinden?«
    »Nein. Es gibt nur diese eine Tür.«
    Mit Gepolter kam Schwester Irene herein. Min Ju starrte den lebenden Fleischberg an, als käme eine Lawine auf ihn zu. Sie hatte zwei große Tüten in den Händen und ließ sie jetzt auf den Boden fallen.
    »Darf ich Ihnen den chinesischen Schriftsteller Dai Fucai vorstellen?« sagte Rathenow schnell. »Er hat mir die Nachricht überbracht, daß wieder ein Artikel von mir ins Chinesische übersetzt wird.«
    Min Ju verbeugte sich knapp vor Schwester Irene. »Wir in China verehren Dr. Rathenow«, sagte er liebenswürdig. »Ich habe gehört, daß Sie Dr. Rathenow betreuen. Furchtbar, diese Verletzungen. Aber ich zweifle nicht, daß er unter Ihrer Pflege schnell wieder gesund wird.«
    »Das hoffe ich auch.« Schwester Irene war geschmeichelt und fragte nicht, wie ›Dai Fucai‹ ins Haus gekommen war. Sie dachte gar nicht daran. Sie nahm die Tüten vom Boden und klemmte sie unter ihre gewaltigen Arme. »Heute mittag gibt es frischen gemischten Salat und Kalbsleber. Einverstanden?«
    »Sie entpuppen sich als Engel.« Rathenow lachte etwas gequält. Aber die kritische Situation war vorüber. »Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen.«
    »Ich habe Ihnen auch eine Flasche alkoholfreies Bier mitgebracht. Alkohol gibt es bei mir nicht. Nur als Umschlag!«
    Sie nickte Min Ju, dem chinesischen ›Schriftsteller‹, mit einem breiten Lächeln zu und verließ das Schlafzimmer. Min Ju wischte sich über die Augen und lachte leise.
    »Wer hat dir denn diesen Drachen angedreht, Bai Juan

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