Der Schwarze Mandarin
niedrige Helfer. Weißt du, was das für dich bedeutet?«
»Ich werde ein Sklave eurer Verbrechen werden.«
»Du wirst unser Bruder sein. So, als wärest du am Gelben Fluß geboren.«
»Warum gerade ich? Ich kann nicht sagen, daß das eine Ehre ist. Wenn ich eure Befehle ausführe, dann nur, weil ich gezwungen werde. Ihr habt mich in der Hand, ich bin für euch ein Werkzeug, aber auch die besten Werkzeuge nutzen sich ab!«
»So ist es. Und dann werfen wir sie weg. Du bist der Anfang eines großen Experimentes. Alle, die nach dir kommen werden, sind nur Schatten von dir. Deshalb – so sagt der Gao Lao in Hongkong – gehörst du für immer zu uns. Du bekommst durch uns ein anderes Leben, als seist du schon wiedergeboren.« Er legte Rathenow seine Hand auf den Arm. »Wirst du Wang Liyun heiraten?«
»Wenn sie will …«
»Sie will.«
»Woher wissen Sie das?«
»Es stand in ihren Augen. Du konntest es nicht lesen, aber wir erkennen eine Seele im Blick. Das Auge ist der Spiegel des inneren Menschen … der Außenmensch kann lügen und sich verstecken, das Auge nie! Du wirst glücklich sein mit Wang Liyun und als unser Bruder. Aber bis dahin liegt noch eine lange, beschwerliche Strecke über die Straße des Gehorsams und der Demut vor dir. Du wirst sie überwinden, weil die Liebe Liyuns dir die Kraft dazu gibt. Glück fällt nicht vom Himmel – es muß erobert werden.«
»Ihre poetische Rede ist eine einzige Drohung. Ich verstehe sie genau.«
»Vergiß, daß du einmal Dr. Hans Rathenow gewesen bist. Es gibt ihn nicht mehr! Er hat die ewige Reise angetreten und kommt nicht zurück …«
Min Ju hob die Hand und strich damit kurz über Rathenows gefärbtes, blondes Haar. »Damit hast du den Anfang gemacht«, sagte er und zog die Hand zurück, als er merkte, wie Rathenow unter der Berührung zusammenzuckte. »Dich erkennt niemand mehr. Du bist ein neuer Mensch geworden, und der wirst du bleiben. Bereite dich auf den großen Tag vor. Ziehe einen schwarzen Anzug an, eine silberne Krawatte, ein weißes Hemd, so, als würdest du zu einer Hochzeit gehen oder zu einer Taufe. Und iß nichts vorher! Wir werden alle gemeinsam an einem großen runden Tisch sitzen und das ›Familienessen‹ genießen. Und auch deinen Namen wirst du ändern, aber nur unter uns. Mit der Aufnahme in die Bruderschaft gehörst du zur Familie der ›Dolchgesellschaft‹ und wirst den Familiennamen ›Hong‹ annehmen. Dann wirst du 36 Blut-Eide schwören, die ich dir vorlese, und indem du sie schwörst, erkennst du alle Regeln der Triaden an. Seit über 150 Jahren sind die 36 Blut-Eide das Fundament unserer Gesellschaft, unserer Familie, deren Daih-Loh ich hier in München bin. Nachdem du ein Hong geworden bist, erwartet die Familie von dir bedingungslosen Gehorsam und absolute Brüderlichkeit.«
»Und Ninglin wird mich weiter mit Fußtritten verletzen …«
»Nein! Wenn er das tut, dann melde es mir. Er wird bestraft. Ab nächster Woche bist du sein Bruder, den er nie schlagen darf. Bei einem Streit schlichtet der Daih-Loh, also ich!« Min Ju bestellte ein Kännchen Jasmin-Tee und steckte sich einen Zigarillo an. »Es ist seit Jahrhunderten üblich, daß die Aufnahme in die Hong-Familie in einem Tempel stattfindet. Seit es uns, die 14K, gibt, haben wir unsere neuen Brüder im Tempel Wong Tai Siung in Hongkong ›getauft‹. Wir können aber nicht wegen der Zeremonie nach Hongkong fliegen. Jetzt hat jede Familie ihren eigenen geheimen Tempel, auch wir in München. Darauf bin ich stolz. Auch du wirst eines Tages stolz sein, ein Triade, ein ›Drei-in-einem‹, ein San-he-Hui zu sein. Tin-Tai-Wui, das ›Himmel-Erde-Mensch‹, wird deine neue Welt sein, in der du glücklich leben wirst. Du wirst nichts anderes mehr denken oder fühlen als: Ich bin ein ›Sohn des Hong‹, ein Mitglied der ›Roten Gilde‹, der ›Hong Bang‹. Und sei stolz darauf: Die 14K ist die mächtigste und die am meisten gefürchtete Triade auf dieser Welt!«
»Ich weiß …«, sagte Rathenow bitter. »Ihr seid überall.«
»Und es gibt kein Geschäft, in dem wir nicht mitmischen. Vom Drogenhandel bis zum Hotelkonzern, von der Immobiliengesellschaft bis zur Handelskette, vom Industriebetrieb bis zum Einzelhandel – überall sind wir mit von der Partie, unter Decknamen, Deckadressen, mit willigen Mittelsmännern, bestochenen Managern. 14K ist eine Weltmacht, nur wissen und spüren es die Menschen nicht – bis auf jene, die nicht gehorsam sind und die wir bestrafen
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