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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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diesem Augenblick betraten sechs Chinesen den ›Schwarzen Mandarin‹. Unter ihnen war auch Ninglin, der an Rathenows Tisch trat und ihn mit finsterer Miene musterte. Auch er erkannte ihn einen Augenblick lang nicht, aber dann, als er Mins gespanntes Gesicht sah, hellte sich seine Miene auf, und er begann leise zu lachen.
    »Gut!« sagte er leise. »Sehr gut. Man muß dich schon gut kennen, um dich zu durchschauen. Aber mich kannst du nicht täuschen.«
    Die fünf Chinesen setzten sich links und rechts von den beiden verdächtigen Gästen an zwei Tische und bestellten eine Wan-Tan-Suppe. Min zeigte auf einen Stuhl an seiner Seite, und Ninglin setzte sich.
    »Laß sie nicht aus den Augen!« sagte er zu ihm. »Und wenn es Russen sind – denk an unsere gestorbenen Brüder. Ihre Seelen warten auf ihre Befreiung.«
    »Wir werden uns um sie kümmern, Daih-Loh.«
    »Das erwarten wir von dir, Ninglin.«
    »Das heißt«, sagte Rathenow gepreßt, »sie sind schon so gut wie tot?«
    »Wenn es wirklich Russen sind, hat ihr Schicksal es so gewollt. Man kann nicht weglaufen vor dem, was einem bestimmt ist.« Min sah auf seine Uhr. Es war fast 14 Uhr, und noch immer hatten die beiden Gäste nichts bestellt. Der Kellner wartete geduldig.
    »In zehn Minuten macht die Küche zu«, sagte er, als die beiden immer noch in der Speisekarte blätterten. »Wir öffnen dann erst wieder um sechs.«
    Sie waren offensichtlich zu einer Entscheidung gekommen und bestellten Schweinefleisch mit chinesischen Pilzen, Bambussprossen und Glasnudeln nach Sichuan-Art.
    »Das ist sehr scharf«, erklärte der Kellner.
    »Wir lieben es scharf!« Der eine Herr klappte die Speisekarte zu. »Dazu zwei Bier. Und vorher zur Anregung einen Mao Tai.«
    Der Kellner ging zur Kasse, bongte die Bestellung und reichte sie zur Küche hinein. Dann nahm er ein Tablett und ging mit ihm hinüber zu Min Ju, als wolle er ihn bedienen. Er beugte sich etwas vor und sagte leise: »Es sind keine Deutschen. Ihr Deutsch ist fremdartig, es klingt sehr hart.«
    »Russen!« Min faltete die Hände über dem Bauch. »Es müssen Russen sein. Was habe ich gesagt? Mein Gefühl! Ninglin …«
    »Ich weiß, was wir zu tun haben, Daih-Loh.«
    Ninglin stand auf und ging hinüber zu den fünf Chinesen, wo er sich wieder setzte.
    Das Essen kam schnell. Zou Shukong hatte die Standardspeisen immer in großen Töpfen vorbereitet und warm gestellt – hier die Fleischstücke, dort die Gemüsebeilagen, die Pilze, die Nudeln, die Bambus- und Bohnensprossen, die Soßen. Man brauchte nur zu mischen, wie es auf der Karte stand.
    Um 14.43 Uhr verließen die Russen – wenn es denn welche waren – den ›Schwarzen Mandarin‹ und gingen zu Fuß weiter durch die Stadt. Ninglin folgte ihnen unauffällig, wurde nach einigen hundert Metern von einem anderen Triaden abgelöst, und so geschah es während der ganzen Zeit, in der die Russen durch die Stadt bummelten.
    Im Sommer durch eine von der Hitze dampfende Stadt zu gehen, macht durstig. Die beiden Beobachteten betraten ein großes Brauhaus. Der Chinese, der sie verfolgt hatte, nahm weit von ihnen Platz, aber doch so günstig, daß er sie ständig im Auge behalten konnte. Als einer von ihnen nach hinten ging zur Toilette, eilte der Beobachter ebenfalls zum WC. Aber dort war kein Russe. Der Chinese wirbelte herum, verließ sofort die Toilette, hielt einen Kellner an und fragte:
    »Wo kann ich telefonieren?«
    »Dort hinten! Da sind Telefonzellen.«
    »Danke.«
    Sein Verdacht bestätigte sich. Der Russe stand in einer der Zellen und telefonierte, den Rücken zur Glastür gewandt. Mit großen Gesten unterstrich er das, was er sagte. Der Chinese besetzte die Nebenzelle und rief im ›Schwarzen Mandarin‹ an. Min Ju war sofort am Apparat, als habe er auf den Anruf gewartet.
    »Einer telefoniert!« sagte der Triade hastig. »Er spricht sehr aufgeregt.«
    »Hat er dich gesehen?«
    »Nein. Aber er muß Wichtiges berichten.«
    »Bleibt weiter bei ihnen! Seid unsichtbar, aber immer hinter ihnen. Ich vertraue auf eure Fähigkeit.«
    »Wir rufen wieder an, Daih-Loh.«
    Bis zum Abend klebten die Triaden an den beiden Russen wie ihre Schatten. Sie sahen, wie sie in die S-Bahn stiegen, und folgten ihnen bis Wessling. Dort sahen sie, wie die beiden ein neu erbautes Mehrfamilienhaus betraten. Kurze Zeit später flammte im zweiten Stockwerk das Licht auf. Die Chinesen waren nun zu viert, setzten sich in ein Lokal am Wesslinger See, tranken ein Bier und warteten, bis die

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