Der Schwarze Mandarin
glücklich, daß er doch noch atmete. Es gibt doch kein Leben ohne dich, dachte sie wieder.
*
An dem Abend, an dem Liyun in Saarbrücken war, klingelte es an Rathenows Haustür. Er sah auf die große Standuhr in der Halle. Sie zeigte 21.17 Uhr an – eine Zeit, zu der ihn ohne Anmeldung normalerweise niemand besuchte –, lief zurück in sein Arbeitszimmer und holte aus der Schublade die Pistole, die er von Min Ju bekommen hatte. Als er zurück zur Tür kam, klingelte es zum zweitenmal.
Rathenow öffnete, die rechte Hand um den Griff der Pistole geklammert, die er in die Hosentasche gesteckt hatte. Vor der Tür standen zwei Herren in eleganten Sommeranzügen und versuchten eine kleine Verbeugung.
»Gutten Abend!« sagte der eine. »Störren wirr …?«
Und der andere fügte hinzu: »Errstaunen wärrdenn Sie? Wir kommennn in wichtigerr Angälägenheit.«
Rathenow atmete tief durch, sein Finger lag am Abzug der Pistole.
Russen! Die Russen waren zu ihm gekommen! Der Vernichtungskrieg stand vor der Tür. Die Rache für Ninglins Morde. Und während Rathenow zurücktrat, die Tür freigab und die beiden Russen ins Haus traten, dachte er: Wie gut, daß Liyun jetzt in Saarbrücken ist. Sie wird überleben … und das läßt für mich alles leichter werden.
Aber wieso ich? fragte er sich dann. Mich kennt doch keiner, niemand weiß, daß ich für die Triaden arbeite … gibt es doch Verräter unter uns? Wer hat ein Interesse daran, mich liquidieren zu lassen? Ninglin? Eine satanische, aber gute Idee: Es waren die Russen! Nie würde ein Verdacht auf ihn fallen.
»Treten Sie näher, meine Herren. Darf ich vorausgehen?«
Er führte sie in den Salon. Die Herren schienen von der Pracht des Hauses beeindruckt zu sein, aber sie nahmen nicht Platz, als Rathenow auf die Sessel zeigte.
»Wir möchtän uns vorställän«, sagte der Größere von ihnen. »Mein Namme ist Gregor Antonowitsch Burjew.«
»Und ich binn Boris Nikolajewitsch Sarantow.«
»Sie kommen aus Rußland?«
»Boris aus Moskau, ich aus Kiew«, sagte Sarantow. »Abär jätzt wohnän wir in Münchän.«
Jetzt setzten sie sich doch und sahen Rathenow freundlich an. Er ließ sich von der jovialen Art nicht täuschen – auch Ninglin lächelte, bevor er mit seinem Messer zustach.
»Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Ich habe einen echten russischen Wodka da. Einen Sibirskaya.«
»Oh, bästär Wodka von Rußland!« Burjews Gesicht glänzte. »Nähmenn gärnä an.«
Rathenow holte Wodka, drei Gläser und stellte die Flasche auf den Tisch. Dann setzte er sich und legte die entsicherte Pistole auf sein Knie, den Finger am Abzug. Die Russen sahen ihn erstaunt an.
»Warumm Pistola?« Sarantow schüttelte den Kopf. »Sie kein Triada …«
»Aber Sie kommen von der russischen Mafia.«
»Wälch bösäs Wort!« Burjew goß für sich, Sarantow und Rathenow Wodka in die Gläser, so unbefangen, als sei er der Gastgeber. »Wir sind Gäschäftsleutä. Und wir habben Gäschäft für Sie.«
»Was kann mir Ihre Organisation vorschlagen? Sie sehen mich erstaunt.«
»Nicht spiellen Thäater.« Burjew grinste und hob sein Glas. »Nasdrowne!«
Er kippte den Wodka mit einem Schluck hinunter, und Sarantow tat es ihm nach. Rathenow nippte nur an seinem Glas. Die Stimmung der Russen wurde fröhlich. Burjew goß noch einmal ein.
»Sibirskaya langä nicht gähabt. Immär nur normalär Wodka. Dankä.« Er lehnte sich in dem tiefen Sessel zurück und blickte wieder auf die Pistole. »Macht uns Sorgän, die Pistola.«
»Ich lege sie erst weg, wenn ich weiß, warum Sie zu mir gekommen sind.«
»Nicht um töttän. Nein. Gägänteil! Läbän!« Burjew, er schien der Wortführer zu sein, blickte hinüber zu Sarantow. Der nickte ihm zu. »Fangän wir an.«
»Ein guter Vorschlag!« erwiderte Rathenow. Er war ganz ruhig, sein Herz schlug nicht schneller, sein Puls raste nicht, sein Kopf war frei. Es ist doch merkwürdig, dachte er. In der Stunde der größten Gefahr wird man zum Helden. Wer hätte das gedacht?
»Wir wissänn, daß Sie Mitglied dar Triadän sind …«
Rathenow zog die Pistole an sich. »Das ist ein Irrtum! Ich bin zu einer Mitarbeit gezwungen worden.«
»Was auch … Sie kassierän Schutzgäld von Chinäsän. Sie sind Grassandalä … lustigär Nammä. Wir habben Sie beobachtät … halbäs Jahr lang. Sie kännän Organisationn, Kopf von Organisationn, Geheimnis von Organisationn. Sie wissän viel. Und Sie liäben Chinäsin …« Jetzt war es Sarantow, der
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