Der Schwarze Mandarin
Chikago. Wo war man sicher? Wo gab es keine Triaden? Min Ju sagte: Wir sind überall. Auch in Dubai oder auf den Bahamas? Auf Barbados oder in Mexiko? Auf Tahiti oder Madagaskar?
Wo gab es ein Fleckchen Erde, wo er mit Liyun ohne Angst leben konnte?
Mein Gott – wo ist man sicher auf dieser Welt?
Und – konnte man den Russen vertrauen?
In der Nacht arbeitete Rathenow den Informationsplan aus, der gegen einen Paß für Liyun und die übrigen Papiere ausgetauscht werden sollte. Er enthielt die wichtigsten Hinweise und bedeutete, wenn die Russen ihr Wissen ausnutzten, einen der blutigsten Kämpfe zwischen zwei rivalisierenden Banden in der Bundesrepublik. Rathenow nannte die Namen Min Ju und Ninglin, das China-Restaurant ›Der Schwarze Mandarin‹ und einige Mitglieder, die er kennengelernt hatte. Er legte eine Liste von den Lokalen an, die Schutzgelder an die Triaden gezahlt hatten und die er eingetrieben hatte, und er nannte auch den geheimen und nur wenigen bekannten Namen des Großen Daih-Loh von Amsterdam, der Zentrale der europäischen Bruderschaften der Triaden. In der ›Drachenstadt‹ Amsterdam liefen alle Fäden auf dem Kontinent zusammen.
Von seiner Dokumentation fertigte Rathenow drei Fotokopien an und verschloß sie in seinem Tresor, wo auch seine Tagebücher lagen. Hoffentlich geht es gut, dachte er. Fall nicht auf einen Trick der Russen herein! Erst die Papiere, dann das Material. Und von Adelboden aus werden wir uns den Platz suchen, wo uns kein Verfolger findet.
*
Am nächsten Mittag kam Liyun nach München zurück. Sie schleppte zwei Koffer mit sich, die Rathenow auf ein Kofferwägelchen wuchtete und zu seinem Auto schob. Liyun folgte ihm, schweigsam und in sich gekehrt.
»War es so schlimm?« fragte er, als sie im Wagen saßen. Liyun nickte und starrte auf den Bahnhofsvorplatz mit seinem irrsinnigen Verkehr.
»Es war furchtbar«, sagte sie nach einer Weile und schluckte mehrmals. »Frau Frantzen hat geweint, und Herr Frantzen hat auf dich geschimpft. Er hat dich einen Spinner genannt. Einen Phantasten, dem die Realität verlorengegangen ist.« Sie faltete die Hände, und erst jetzt bemerkte Rathenow, daß sie zitterten. »In wenigen Wochen ist alles vorbei, Bi Xia. Da muß ich zurück nach China … Keiner will mich haben.«
»Das ist gar nicht mehr wichtig, kleine Niang Niang.« Er legte den Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. »Ich habe einen Paß für dich …«
»Du hast?« Sie wirbelte auf dem Sitz herum und warf beide Arme um seinen Nacken. In ihren traurigen Augen blitzten wieder Freude und Hoffnung auf. »Du hast meinen Paß verlängert bekommen? Aber wie denn? Ich habe den Paß doch bei mir.«
»Es ist ein anderer Paß, Liyun. Ein falscher …«
»Das … das geht doch nicht …«
»Ein deutscher Paß für dich. Du bist eine Deutsche.«
»Unmöglich. Jeder sieht doch, daß ich eine Chinesin bin!«
»Es hat alles seine Logik.« Rathenow startete seinen BMW und fuhr hinaus nach Grünwald. Während der Fahrt erzählte er von den russischen Besuchern und dem Vorschlag der Russen-Mafia. Liyun war entsetzt. Ein paarmal rief sie dazwischen: »Das geht nicht! Das ist unmöglich!« Und nach der anfänglichen kurzen Freude wurde sie jetzt von neuer Furcht gepeinigt.
»Von einem Gangster zum anderen!« sagte sie, als Rathenow seinen Bericht beendet hatte. »Soll unser ganzes Leben nur von Verbrechern abhängig sein?«
»Liyun, ich muß den Krallen der Triaden entkommen!«
»Und kommst in die Krallen der Russen. Wo ist da ein Unterschied?«
»Die Russen wollen nur meine Information … dann lassen sie uns in Ruhe.«
»Und das glaubst du? Du bist wirklich ein Phantast, wie Dr. Frantzen sagt.«
»Danke!« Rathenow reagierte ausgesprochen sauer. »Ich habe alles nur für dich getan, Liyun! Ich wäre nie in diese Lage gekommen, wenn ich dich nicht lieben würde und Angst hätte, dich zu verlieren.«
»Ich weiß es.« Sie senkte wieder den Kopf und verbarg ihr Gesicht hinter dem schwarzen Vorhang ihrer Haare. »Ich habe dir Unglück gebracht. Schick mich nach China zurück …«
»Was redest du da für einen Unsinn! Mein Leben ist sinnlos geworden ohne dich!«
»Meins auch … aber wer fragt danach? Ich will nicht, daß du meinetwegen alles aufgibst!«
»Liyun!« Er bremste so scharf, daß der Wagen ins Schleudern und erst auf einem Fahrradweg zum Stehen kam. »Ich verkaufe alles, verlasse Deutschland und komme mit dir nach Kunming.«
»Wieder in die Hand der Triaden? Dann
Weitere Kostenlose Bücher