Der Schwarze Mandarin
wir haben ein Vierteljahrhundert miteinander durchlebt und Situationen gemeistert, die ich nicht schildern kann, weil sie nicht jugendfrei sind. Du bist und bleibst ein Ferkel – aber bleib so, auch wenn ich Dich nicht mehr rausschmeißen kann. Grüße alle Bekannten von mir und sag ihnen zum Abschied, daß sie mich am Arsch lecken können. Du natürlich nicht; für Dich müßte es Schlimmeres geben! Leb wohl, such mich nicht – Du wirst mich nicht finden. Ein lieber Tritt in den Hintern … Dein Hans.«
Der letzte Brief war an das Polizeipräsidium München adressiert. Ein normales Kuvert, kein Absender, billiges Kopierpapier und nur ein paar Zeilen:
»An das Kommissariat für organisierte Kriminalität. In vier Tagen werde ich bei ihnen anrufen, genau um zehn Uhr vormittags. Bitte seien Sie um diese Zeit am Apparat. Ich habe Ihnen etwas zu erzählen.«
Rathenow las alle Briefe noch einmal, bevor er sie Liyun gab. Auch sie las sie langsam und gründlich und fragte dann: »Was willst du von der deutschen Polizei?«
»Warte es ab. Laß uns erst in Adelboden sein.«
»Willst du ein doppeltes Spiel spielen? Russen gegen die Triaden und die Polizei gegen alle?«
»Du bist ein ungemein kluges Mädchen, Niang Niang. So schließt man eine gute Lebensversicherung ab.«
Sie klebte die Kuverts zu. Er nahm sie ihr ab und sagte: »Und jetzt gehen wir zum letztenmal in Deutschland ganz fein essen. Ins ›Gourmet‹ meines Bekannten Otto Koch.«
Aber Liyun saß an diesem Abend nur still am Tisch und aß nur ein paar Bissen. Auch auf der Fahrt nach Grünwald blieb sie still und sprach kaum ein Wort.
»Hast du Angst?« fragte er einmal.
»Ja. Du weißt, daß wir in Adelboden nicht sicher sind … aber du sagst, daß uns dort keiner finden wird!«
»In wenigen Tagen sind wir weg aus Adelboden. Irgendwohin …«
»Irgendwohin … das ist kein guter Name für einen Ort, wo wir leben können …«
Er wußte, daß sie recht hatte, aber es war immerhin der erste Schritt in die Freiheit, der erste Schritt in das neue Leben.
*
Burjew und Sarantow erschienen am frühen Morgen, umarmten Rathenow wieder, gingen in den Salon, als seien sie hier zu Hause, und legten den Paß für Liyun auf den Tisch. Es war – auf den ersten Blick – ein echter deutscher Paß, schon etwas abgegriffen, wie ein langjähriger Paß aussehen muß, und lautete auf den Namen: Wang Liyun, geboren am 3. Juni 1966 in Bremen. Augen schwarzbraun. Größe 1,62 m. Besondere Kennzeichen: keine. Ausgestellt in Bremen am 1. Mai 1989. Gültig bis 1999. Unterschrift, Stempel … alles korrekt.
»Gutt so?« feixte Burjew. »Guttäs Arbeit.«
»Und hier Flugkartän und Adrässä Adälbodän.« Burjew wedelte mit den Tickets in der Luft herum. »Wo Dokumäntation? Wir habbän gähaltän Wort wie Ähränmann …«
»Einen Augenblick.« Rathenow ging in sein Arbeitszimmer, holte die Schriftstücke aus dem Tresor und legte sie vor Burjew auf den Tisch. Die Russen sahen sich schnell an. Rathenow reagierte ebenso schnell auf den Blick. Er zog die Papiere an sich, und seine Hand schnellte nach vorn. »Erst Paß, Tickets und Adresse!«
»Ärst Kontrollä.« Burjew wölbte die Unterlippe vor. »Kontrollä immär gutt!«
»Wir sollten uns vertrauen, Burjew. Schließlich geht es um mein Leben.«
»Loggik ist auf deinär Seitä. Hier alläs, was nötigg ist …«
Er reichte Rathenow Paß, Flugkarten und die Adresse in Adelboden hinüber, und Rathenow übergab ihm die Papiere. Schon ein flüchtiges Durchblättern befriedigte Burjew. Es war genau das, was Genosse Natschalnik erwartet hatte. Er faltete die Papiere zusammen und steckte sie in seine Rockinnentasche.
»Wir dankän!« sagte er dabei. »Sähr zufriedän. Flug morgän 18 Uhr. Gutäs Flug.«
»Ich danke Ihnen. Aber ich warne Sie. Den Bunker von Min Ju unter dem ›Schwarzen Mandarin‹ kann man nicht so einfach stürmen. Ich habe es ja beschrieben … es sind mehrere Panzertüren zu sprengen, und das Hauptquartier hat drei unterirdische Ausgänge, die in den Kellern von völlig harmlos aussehenden Mietshäusern enden. Besitzer dieser Häuser ist die Firma ›Heimbau und Garten‹ … sie gehört den Triaden. In den Häusern wohnen Scharfschützen.«
Sarantow grinste fast mitleidig. »Wir nicht dumm! Wärden Plan machän wie im Krieg. Habän altä Offizierä bei uns. Können wartän. Habbän Zeit. Nix Eilä. Angriff wie im Kriegg. Plötzlich. Sind da, wann keinär ahnt. Habbän euch Deutschä auch bäsiegt
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