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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mitnehmen, dachte er. Einen großen Koffer ich, einen großen Koffer Liyun. Alles andere muß zurückbleiben, zum Verkauf fehlt die Zeit und fehlen die Käufer. Man muß sie erst suchen, aber wer sollte sie suchen? Dr. Freiburg – die Triaden würden meine Adresse aus ihm herauspressen. Ein Kunsthändler? Auch ihn würden sie greifen und das für den Verkauf eingerichtete Bankkonto überwachen. Ich würde an das Geld nie herankommen – das ist der Preis für unsere Freiheit! Soll an einem Chagall unser Leben hängen? Alles, was ich besitze, wird zurückbleiben müssen; den Dr. Hans Rathenow gibt es nicht mehr.
    Gemeinsam mit Liyun schrieb er auf, was er mitnehmen wollte: seine Arbeitsunterlagen, seine Themenmappe, die Recherchen-Akten, die Dias, einige wichtige Bücher, ein Handlexikon, Fotokopien seiner Tagebücher und die letzten Briefe, die er noch schreiben wollte.
    Und seine Schreibmaschine mußte mit, seine alte, gute mechanische Olympia Monica, auf der er seit über zwanzig Jahren seine wissenschaftlichen Arbeiten und auch seine Bücher geschrieben hatte.
    »Ohne sie bin ich nur ein halber Mensch!« sagte er, als Liyun meinte, überall auf der Welt gäbe es Schreibmaschinen. »Von ihr trenne ich mich nicht. Sie ist das Treueste, was ich bisher besessen habe. Niang Niang, das kannst du nicht verstehen, du hast kein Schriftstellerherz.«
    Mitnehmen wollte Rathenow auch seine Kameraausrüstung, die ihn überallhin auf seinen Reisen begleitet hatte. Ob am Amazonas oder bei den Ureinwohnern Australiens, ob in Alaska oder auf Feuerland … sie war sein drittes Auge geworden, und das hatte manchmal mehr gesehen, als er in der Erinnerung behalten hatte. Als alle Gegenstände auf dem breiten Bett gestapelt waren und Rathenow zwei große Koffer aus einer der Bodenkammern holte, sagte Liyun:
    »Bi Xia, du hast etwas Wichtiges vergessen: ein Blatt Reispapier …«
    »Welches Reispapier?« Er suchte einen Sinn in Liyuns Worten. Reispapier?
    »Denk an Lijiang … das kleine Lamakloster auf dem Berghang. Der Mönch hat dir auf einem Stück Reispapier einen Glückwunsch geschrieben. Glück, ein langes Leben, Reichtum, Gottes Segen … mit dem Pinsel hat er geschrieben, nur für dich …«
    »Ja, jetzt erinnere ich mich. Ein kalligraphisches Kunstwerk ist es.«
    »Hast du es noch?«
    »Aber ja. Es liegt bei meinen Graphikmappen.«
    »Nimm es mit …« Ihre Stimme wurde ganz ernst. »Es sind die Glückwünsche eines Heiligen. Wir können sie brauchen …«
    Und noch etwas nahm Rathenow mit, nahm es aus dem Rahmen und rollte es zusammen: die Batik von dem tanzenden Bai-Mädchen und den drei Tauben, die Liyun ihm geschenkt hatte. Für ihn war diese Batik wertvoller als alle Gemälde. Sie war Liyuns heimliche, stumme Liebeserklärung gewesen.
    Dann hatten sie die Koffer gepackt, saßen Hand in Hand auf der Bettkante und sahen die Koffer an.
    »Das ist von dem großen Rathenow übriggeblieben«, sagte Liyun, und ihre Stimme zitterte. »Zwei Koffer …«
    »Es ist genug. Ich habe dich, Niang Niang.«
    »Ein ganzes Leben, das man an zwei Griffen wegtragen kann. Und alles ist meine Schuld …«
    »Nein, alles ist unsere Liebe! Das Leben ist vernünftiger geworden: Wir brauchen nur uns. Wir sind befreit von allem Tand und leben nur füreinander. Es gibt keine Verpflichtungen mehr, keine Termine, keine Zwänge, kein Hetzen nach Anerkennung und keine Demonstration des Wohlstands. Dieser ganze Schmäh ist jetzt vorbei; ich habe ihn immer gehaßt. Jetzt gibt es nur noch dich und mich, und damit ist für uns die Welt vollkommen.« Er gab einem der Koffer einen Tritt, aber der war so schwer, daß er nicht umkippte. »Jetzt schreibe ich die Abschiedsbriefe, Liyun. Wenn man aus dem Leben entflieht, schreibt man einen letzten Brief.«
    Bis zum späten Abend schrieb er an diesen Briefen. An die Verlage, die seine Arbeiten und Reiseerzählungen publiziert hatten. Er trug ihnen auf, von den Honoraren gleich 55% an das Finanzamt zu überweisen, zuzüglich 7% Umsatzsteuer. Mit der Abwicklung aller anderen Aufgaben beauftragte er seinen Steuerberater.
    An alle Verlage, von denen er Zeitschriften oder Zeitungen bezog, um die Abonnements zu kündigen.
    An Dr. Freiburg, der mit den Worten schloß: »Hiermit also verabschiede ich mich von dir und diesem bisherigen Leben. Du warst ein guter, lieber, treuer Freund, oft eine Stütze, manchmal ein Ärgernis, aber immer ein Mensch, auf dessen Herz und Verstand ich vertrauen konnte. Wir waren wie Brüder,

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