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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dem Norden. Wir dachten, eine Großstadt ist Ihnen nicht so wichtig wie die Minderheiten.«
    »Stimmt! Dann los nach Dali!«
    »Neun Stunden Fahrt, Herr Rathenow. Aber die Straße gehört noch zu den besten in Yunnan.« Liyun lächelte Rathenow wieder an, ein Lächeln, das er wie ein Streicheln auf der Haut empfand. Er wehrte sich gegen dieses Gefühl. »Und die interessanteste.«
    »Ich lasse mich überraschen.«
    Die Ausfallstraße von Kunming nach Westen mündete in eine breite, mehrspurige Straße, die noch im Ausbau war, aber schon befahren werden durfte. Neben ihr ging die alte Straße weiter, jetzt tiefer gelegen und voller Löcher.
    »Unsere neue Autobahn!« sagte Liyun stolz. »Kunming – Dali. Sie wird wie der neue Flughafen von Kunming ein Vorbild sein. Wir tun in Yunnan viel für den Fortschritt. Unsere Parteifunktionäre sind sehr fleißig.«
    »Sie sind doch eine begeisterte Kommunistin.«
    »Ich liebe mein Land …«
    Auch wenn die Autobahn nicht fertig war, eins gab es schon: eine Mautstelle, die Gebühren für die Benutzung kassierte. Wen Ying bezahlte, steckte die Quittung unter die Sonnenblende und spuckte wieder kräftig aus dem Fenster. Liyun schien das nicht zu stören, aber Rathenow war froh, nicht neben Ying zu sitzen.
    Nach etwa hundert Kilometern Fahrt über die Autobahn bog man wieder ab auf die alte Straße und tauchte in Staub und Schlaglöcher ein.
    »Jetzt geht es erst richtig los, was?« fragte er.
    »Ja.« Liyun drehte sich wieder zu ihm um. »Wir fahren jetzt über die berühmte Burma-Straße. Haben Sie schon darüber gelesen?«
    »Natürlich. Die Burma-Straße wurde im Zweiten Weltkrieg von den Amerikanern und den Chinesen durch den Dschungel geschlagen, um eine Nachschubstraße im Kampf gegen die Japaner in Burma zu haben. Berüchtigt wurde sie, als China im Vietnam-Krieg über diese Straße Waffen und Munition an die Vietkong lieferte. Nur dadurch konnte Ho Chi Minh überleben! Die Straße, die die Amerikaner bauten, wurde der Untergang der Amerikaner in Südost-Asien. So makaber kann Weltgeschichte sein.« Rathenow beugte sich wieder etwas zu Liyun nach vorn. »Mir ist noch etwas aufgefallen.«
    »Was?«
    »Ihre neue Autobahn hat vier Spuren. Für Autos! Aber wer fährt auf ihr? Ochsenkarren, Eselskarren, Fahrräder, sogar Büffel werden auf ihr getrieben.«
    »Warum wundert Sie das?«
    »Eine Autobahn ist für Autos da, für sonst nichts! Auf unseren Autobahnen würde sofort die Polizei eingreifen.«
    »Bei Ihnen ist ein anderer Verkehr als bei uns. Das ist eine neue breite Straße, und noch gehört sie jedem. Das wird sich ändern, bestimmt. Im Jahre 2000 wird Kunming die Welt-Metropole des Tourismus sein. Yunnan ist die schönste Provinz Chinas, unser Hinterland im Süden und Westen der Provinz wird, wenn wir es erschlossen haben, alle Sehnsüchte der Fremden erfüllen. Es ist malerisch, geheimnisvoll und exotisch, blühende Landschaften, Felder voller Früchte, Urwälder und der majestätische Mekong, der Schicksalsfluß. Leider fahren wir in die entgegengesetzte Richtung, nach Norden. Sie müssen noch einmal nach Yunnan kommen, Herr Rathenow, um unseren Süden kennenzulernen. Meine Heimat kann kein Gedicht beschreiben – es gibt keine Worte dafür.«
    »Ihre Heimat, Liyun?«
    »Ja. Ich bin in Dali geboren. Im alten Königreich von Nanzhao. Erst der große grausame Kublai-Khan konnte es erobern und vernichten und die Bai zwingen, Chinesen zu werden. Ich bin vom Stamme der Bai …«
    »Ahnte ich es doch!« Rathenow sah sie mit einem Blick an, den sie bis ins Innerste zu spüren vermeinte. »Sie sind keine Han-Chinesin, Liyun. Ihre großen, mandelförmigen Augen, der Schnitt Ihres Gesichtes, Ihre langen, schlanken Beine sind etwas Besonderes. Sie wissen, daß Sie ein sehr schönes Mädchen sind.«
    Liyun schwieg. Es gehörte sich nicht, darauf eine Antwort zu geben. Ein anständiges Mädchen hört die Worte, aber es reagiert nicht darauf. Schon gar nicht, wenn eine ›Langnase‹ sie ausspricht. Verlegen drehte sie sich wieder um und starrte auf die staubige Straße.
    Nachdem sie die Autobahn verlassen hatten, kamen sie eine Stunde später in ein Land, in dem sich in den letzten 3.000 Jahren nicht viel geändert zu haben schien. Kleine Dörfer mit Dächern, die man mit Steinplatten gedeckt hatte, Wände aus Holz, Lehm und Stroh, rechts der Straße Gemüse- und Reisfelder, die in Terrassen an den Berghängen angelegt waren. Büffel zogen die Holzpflüge und hochrädrigen

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