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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Karren, Gestalten mit breiten, aus Reisstroh geflochtenen Hüten standen gebückt in den Feldern, Entenherden watschelten am Rande der Tümpel entlang, Strohschütten in fast künstlerischer Form säumten die Wege, Steinbrüche flimmerten in der Sonne, eng zusammengerückte Hütten bildeten Dorfgemeinschaften, und entlang der Burmastraße, vor oder hinter den Siedlungen, arbeiteten weißbestäubte Menschen an den großen Rundöfen der Kalkbrennereien.
    »Jedes Dorf hat seine eigene Kalkbrennerei«, erklärte Liyun, und Ying fuhr etwas langsamer, damit Rathenow sie genauer betrachten konnte. »Das macht sie unabhängig, wenn sie bauen oder ihre Felder düngen wollen. Und sehen Sie die rötlichen, blaßrosa Steine? Sie werden zu Mehl zermahlen und der Sojamilch zugesetzt. So entsteht unser Tofu. Haben Sie schon mal Tofu gegessen?«
    »Ja. Ich war schon zweimal in China.«
    »Sie kennen die Großstädte. Das Tofu auf dem Lande ist anders.«
    »Ich sehe es. Hier ißt man sogar Steine.«
    »Steinmehl! Und unser Reis ist der beste.«
    »In Yunnan ist alles besser, nicht wahr?« Rathenow lächelte. »Ihr Nationalstolz, Liyun … ich bewundere Sie.«
    Sie wandte sich fast schroff ab und starrte wieder vor sich auf die Straße. Eselskarren, Büffelgespanne und uralte Lastwagen – ein Wunder, daß sie überhaupt noch fahren, dachte Rathenow –, vor allem aber die kleinen, zweirädrigen Traktoren, die mit einer Lenkstange von auf schwebenden Stahlsitzen hockenden Bauern gefahren wurden und mit Steinen, Gemüse oder Kohlen schwer beladene Karren hinter sich herzogen, verstopften fast die Straße. Ying bahnte sich wie ein Slalomfahrer wild hupend einen Weg durch dieses Gewirr, und wenn es auch dauernd so schien, als stoße er jetzt mit entgegenkommenden Lastwagen zusammen – es gelang ihm immer, eine Lücke zum Ausweichen zu finden.
    Rathenow hatte sich in den vergangenen Stunden daran gewöhnt – er hatte keine Angst mehr. Ying fährt mit dem Schutz der Götter, dachte er ergeben. Und außerdem: Er will ja auch weiterleben …
    Dieser Verkehr auf der Straße, ein sichtbares Zeichen des Fortschritts, zerstörte dennoch nicht das Bild der Dörfer und der Landschaft. Es war, als würde auch hier die alte Kultur das Moderne in sich aufsaugen, als sei in den lehmgelben oder mit Kalk gestrichenen Häusern die Zeit einfach stehengeblieben. Rathenow sah aus dem Fenster hinüber zu den Dörfern mit ihren engen Gassen und den Treppen, die sich den Hügel hinaufzogen, Steintreppen, in Jahrhunderten abgenutzt und wie glattgeschliffen. Um diese Zeit waren die Häuser fast menschenleer, nur ab und zu sah er eine alte Frau oder einen gebeugten Greis, die vor dem Haus Wäsche aufhängten oder einfach in der Sonne saßen, auf roh zusammengezimmerten Holzbänken oder auf großen, flachen Steinen. Einige der Alten trugen noch die blauen Mao-Anzüge und die blauen Kappen. Mit der wunderbaren Ruhe eines erfüllten Lebens blickten sie über die Straße und auf die Felder und Reistümpel. Nun arbeiteten die Söhne, die Schwiegertöchter und die Enkel auf dem Land, das sie alle ernährte. Diese gute, heilige Erde, die nach Maos Tod nun ihnen gehörte und nicht mehr der Kommune.
    Die Sonne brannte vom Himmel, je mehr es auf Mittag zuging. In einer größeren Ortschaft bat Liyun Wen Ying anzuhalten. Ying bremste so plötzlich, daß Rathenow fast nach vorn geschleudert worden wäre. Die Hitze hatte ihn schläfrig gemacht. Er war eingenickt und wurde nun unsanft geweckt.
    »Was ist?« fragte er und blickte aus dem Fenster.
    Sie hatten vor einer Reihe von Verkaufsständen gehalten. Auf den langen Tischen unter den über Holzstangen gespannten Planen lagen Mandarinen, riesige Wassermelonen, Birnen und Lychees. Andere Stände waren überfüllt mit Gemüse und großen Ballen von Reis- und Glasnudeln; auf ein paar Tischen sah man Fleisch von Rindern, Schweinen und Ziegen. Ein paar Kalbsköpfe lockten die Fliegen an, Schweinsfüße und Ohren, Kalbsmägen und Innereien lagen in Blechschüsseln, an großen Haken hingen dicke Speckseiten – so viel Fett hatte Rathenow seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen. In Deutschland, dachte er, ist heute nur ein mageres Schwein noch ein gutes Schwein. Fett ist fast unverkäuflich. Hier aber galt noch die alte Formel: Je fetter das Schwein, um so wertvoller. Fett ist Lebenskraft.
    »Haben Sie keinen Hunger?« fragte Liyun und öffnete die Tür.
    »Nicht besonders.«
    »Aber ich.«
    »Dafür habe ich einen

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