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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wegfahren.«
    »Ich werde nicht mehr gebraucht?«
    »Du hast frei bis morgen früh.«
    »Willst du nicht Mao besuchen?«
    Rathenow verstand nur Mao und sah Liyun fragend an.
    »Was ist mit Mao?«
    »Ying fragt, ob wir das Mao-Denkmal besuchen. Wollen Sie?«
    »Wenn es sich lohnt.«
    »Es ist eines der letzten großen Mao-Denkmäler Chinas und vielleicht das schönste.«
    »Und es steht noch?«
    »Niemand in Lijiang würde es abreißen. Man ist stolz darauf. Mao war ein paarmal in der Stadt.«
    »Und hat hier in diesem Hotel gewohnt?«
    »Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, ja.«
    »Dann möchte ich heute sein Zimmer haben.«
    »Das geht nicht. Für die Partei sind besondere Zimmer ständig reserviert. Sie werden frei gehalten, auch wenn man sie eigentlich für Touristen braucht. Ich habe schon mehrmals in Personalzimmern geschlafen, ohne Dusche und Toilette. Aber wenn der neue Flughafen fertig ist, wird es auch in Lijiang ein modernes Hotel geben. Der Fortschritt kommt nach Lijiang.«
    Während sich Ying mürrisch entfernte, verhandelte Liyun mit dem Mann an der Rezeption und kam dann mit einem Schlüssel zurück.
    »Sie haben Glück«, sagte sie. »Sie bekommen tatsächlich ein Funktionärszimmer. Sie sind eben ein berühmter Mann. Dafür hat unser Reisebüro gesorgt.« Sie musterte Rathenows große Koffer. »Ich helfe Ihnen, das Gepäck auf Ihr Zimmer zu tragen.«
    »Auf gar keinen Fall! Meine Koffer schleppe ich allein.«
    »Ich bin kräftiger, als ich aussehe.«
    »Daran zweifle ich nicht. Wann fahren wir zum Mao-Denkmal?«
    »Nach dem Abendessen machen wir einen Spaziergang dorthin, einverstanden?«
    »Einverstanden.«
    Rathenows Zimmer war ein großer Raum mit Bad und WC, aber in der Einrichtung äußerst bescheiden. Die Übergardine war an einer Seite aus den Gleitern gerissen, und auch die Jalousie hing schief, als er sie hinunterließ. Dafür stand ein Fernsehapparat auf einer abgestoßenen Kommode und natürlich die Riesenthermoskanne mit heißem Wasser.
    Rathenow duschte, spülte den Staub der Straße ab, suchte aus dem Koffer einen hellgrauen Anzug und ein frisches hellblaues Hemd. Auf eine Krawatte verzichtete er, sondern er ließ den Hemdkragen offen.
    In einer Telefonzelle in der Hotelhalle hob ein langer, schmächtiger Chinese im blauen Anzug mit Mao-Kragen den Hörer ab. Er lehnte sich an die Wand und sah auf eine Reisegruppe aus Taiwan, die gerade das Hotel stürmte.
    »Sie sind da!« sagte er, als sich der Teilnehmer meldete. »Sie sind auf ihre Zimmer gegangen.«
    Shen Jiafu in Kunming hatte schon lange auf diesen Anruf gewartet und antwortete jetzt erleichtert: »Endlich! Ich habe mir Sorgen gemacht. Es hätte einen Unfall geben können. Sie sind vier Stunden zu spät. Wo waren sie?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Hast du sie nicht auf der Straße erwartet?«
    »Herr Shen, ich hatte den Auftrag, im Hotel auf sie zu warten.«
    »Dann bleibst du jetzt immer in ihrer Nähe! Wo sie auch hingehen, du bist dabei.«
    »Ich habe verstanden, Herr Shen. Ich melde Ihnen alles. Soll ich ihnen auch zu den Mosuo folgen?«
    »Nein. Das könnte auffallen. Wir haben einen Mann in Zhongdian, der übernimmt das. Merke dir jede Kleinigkeit! Ob er den Arm um sie legt, wie er mit ihr spricht, wo er sie fotografiert – alles ist wichtig! Jede Intimität, auch eine angedeutete.«
    »Ich werde versuchen, Sie nicht zu enttäuschen, Herr Shen.«
    Der Mann im blauen Anzug legte auf. Er trat aus der Telefonzelle, setzte sich in einen Sessel in der Halle und zündete sich eine Zigarette an.
    *
    Nach dem Abendessen – es gab gebackenes Huhn mit verschiedenen Gemüsen, Reis und die übliche Suppe am Schluß – machten sich Liyun und Rathenow auf den Weg zum Mao-Denkmal.
    Sie gingen die breite Hauptstraße der Neustadt hinunter und standen dann vor dem Monument. Es war wirklich eines der größten und schönsten Denkmäler Maos, die es in China gibt oder gegeben hat. In Überlebensgröße grüßte der Große Vorsitzende von einem weißen Marmorsockel die Stadt, von der Straße abgegrenzt durch eine weiße Marmormauer. Jeder Chinese mußte sich angesichts dieser Größe klein und elend vorkommen.
    »So wird ein Mensch zum Gott gemacht!« sagte Rathenow. »Und 1,2 Milliarden Chinesen haben es geglaubt.«
    »War es bei Ihrem Hitler anders?« Liyuns Stimme klang herausfordernd. »Auch Sie haben alles geglaubt.«
    »1943, als ich in das Jungvolk – so hieß damals die Jugendorganisation …«
    »… bei uns die Jungen

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