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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sehen darf!«
    Sie gingen durch die Altstadt von Lijiang, vorbei an Kanälen und an das Wasser gebauten, aus Lehm, Stroh, behauenen Steinen und aus Holzgeflecht gebauten Häusern, und dazwischen flatterte Wäsche an langen Leinen, spendeten die Teestuben Schatten und dampften die Garküchen. Entenherden schwammen in den Kanälen, die Handwerker saßen draußen auf den Gassen vor ihren Werktischen, die Naxi-Frauen, viele noch in Tracht, schleppten Säcke und Körbe, Steine und Holz, und in den kleinen Gärten meckerten Ziegen, blökten Schafe oder lag ein fettes Schwein im aufgewühlten Lehm.
    Eine Stunde lang wanderten sie durch die Altstadt, fuhren dann hinaus zum ›Schwarzen Drachensee‹, den ein kleiner Park umgab, durch den man zum ›Tempel der fünf Phönixe‹ kam. Über den See spannte sich eine wunderschöne Brücke aus kunstvoll behauenem Marmor, ebenso berühmt wie der 10.000blütige Kamelienbaum oder der alte Lama-Tempel auf der gegenüberliegenden Bergseite. Und dahinter stieg der 5.596 Meter hohe Yulong Yueshan aus der Hochebene, der Schneeberg, dessen weißer Glanz sich im See widerspiegelte. Wie kann man eine solche Schönheit vergessen?
    Rathenow schob seine Kamera vor die Brust. »Stellen Sie sich vor den See, Liyun. Bitte. Ein solches Bild ist einmalig. Darf ich Sie fotografieren?«
    Und wieder sagte sie: »Ja – gern.«
    Sie stellte sich in Positur und lächelte Rathenow zu – sie wirkte wie ein Zauberwesen vor dieser Kulisse.
    »Danke.« Rathenow ließ die Kamera sinken. »Schon wegen dieses Fotos lohnt es sich, Tausende von Kilometern zu fahren, aber ich werde dieses Foto nie veröffentlichen.«
    »Warum nicht?« Sie kam auf ihn zu und blieb nahe vor ihm stehen.
    »Es gehört mir, nur mir allein! Keiner soll es sehen! Es ist ein Bild, auf dem ich eine Seele fotografiert habe. Die Seele Chinas.«
    »Auch ich bekomme es nicht?«
    »Sie holen es sich in Deutschland ab …«
    Es war seit Dali das erstemal, daß er wieder davon sprach. Liyun versuchte ein Lächeln, aber es mißlang ihr. Sie spürte einen Druck in der Brust, der ihr das Atmen schwermachte.
    »Ob das jemals möglich ist?« fragte sie leise.
    »Ich werde alles versuchen, alle Verbindungen spielen lassen. Vor allem bei der deutschen Botschaft in Beijing.«
    »Und wenn es nicht gelingt?«
    »Dann komme ich wieder nach Kunming, um Ihnen das Bild persönlich zu bringen.«
    »Das würden Sie tun?«
    »Zweifeln Sie daran?«
    Könnte ich jetzt doch sagen, was ich fühle, dachte er und zwang sich dennoch dazu, vernünftig zu sein. Sie wird mich auslachen oder entgeistert anschauen. Was hat Tante Fuli geweissagt? Sie wird bald heiraten. Und sie glaubt daran, sie hat nicht widersprochen, also wird es wahr. Halt den Mund, Rathenow! Sei kein Phantast. Sie ist deine Reiseleiterin, weiter nichts.
    »Fahren wir zurück?« fragte Liyun und wandte sich ab. Sie deutete Rathenows Schweigen falsch. Er hält gern große Reden, dachte sie. In München wird er alles vergessen haben. Sie biß sich auf die Lippen und stapfte Rathenow voraus zum Ausgang des Parks, wo Ying wartete.
    »Zum Hotel!« sagte sie grob. Ying starrte sie verblüfft an. Was ist los, Lotosblüte? Warum so wütend? Ich bin doch ein guter, sanftmütiger Mensch. Bell mich nicht so an!
    »Sofort!«
    Kaum, daß Rathenow und Liyun saßen, raste Ying wie ein Rennfahrer los. Vor dem Hotel, einem nüchternen Zweckbau, in dem früher nur herumreisende Parteifunktionäre wohnten, die nach Maos Worten ein Beispiel an Genügsamkeit geben sollten, hielt Ying mit quietschenden Bremsen.
    »Wir sind da«, sagte er überflüssigerweise.
    Rathenow ahnte, was Ying meinte. »Ich war nahe daran, um mein Leben zu beten. So fährt ja kein Irrer!«
    »Aber Sie sehen – es passiert nichts.«
    Im Gegensatz zu Dali kam aus dem Hotel kein Träger, der das Gepäck übernahm. Zwar kamen mittlerweile viele Reisegruppen aus allen Ländern nach Lijiang, aber für deren Koffer sorgten die Reiseleiter oder die Fahrer der Busse. Außerdem wunderte man sich hier, daß die ›Langnasen‹ ihr Gepäck nicht selbst ins Haus trugen, was für Chinesen selbstverständlich war. Wenn ein Genosse Parteisekretär seinen Koffer schleppt, kann das auch ein Deutscher.
    Ying lud Rathenows Koffer aus, trug sie in die nüchterne, etwas heruntergekommene Hotelhalle, knallte sie vor der Rezeptionstheke auf den Boden und blickte dann Liyun an.
    »Ist noch etwas zu tun?« fragte er mit zornigem Blick.
    »Nein. Du kannst den Wagen

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