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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Pioniere.«
    »… richtig, da war ich zehn Jahre alt. Muß ein Zehnjähriger nicht glauben, was alle Erwachsenen sagen und bejubeln? Sie waren doch unsere Vorbilder. Wir Kinder waren begeistert von den Uniformen, den Fahnen, den Standarten, den Aufmärschen, den Heil-Rufen, dem ›Führer, wir folgen dir!‹. Aber mein Hitler – das war er nicht.«
    »War Ihr Vater ein Nazi?«
    »Ja. Sogar ein begeisterter, geradezu fanatischer Nazi. Und als ich ein Jahr später Pimpfenführer wurde, platzte er fast vor Stolz. Und das in einem Jahr, als jeder Vernünftige wußte oder zumindest ahnte, daß der Krieg verloren war. Aber die Mehrzahl der Deutschen war immer noch von Hitler wie hypnotisiert. Das will bloß keiner der Alten mehr hören. Nun bin ich selbst alt und kann beurteilen, in welchem Wahn wir gelebt haben. Sie waren auch bei den Jungen Pionieren, Liyun?«
    »Ja – und ebenso begeistert wie Sie.«
    »Und jetzt?«
    »Ich habe der Partei viel zu verdanken.«
    »Das sagten Sie bereits.«
    »Hat Ihr Vater nach dem Krieg seinen Irrtum eingesehen?« fragte Liyun.
    »Ich … ich nehme es an.« Rathenow blickte empor zu Mao. »Er hat sich im August '45 das Leben genommen.«
    »Oh, das wußte ich nicht.« Sie senkte den Kopf. »Verzeihung.« Sie wandte dem Denkmal den Rücken zu. »Ich … ich möchte gehen.«
    Sie gingen durch die abendliche Dunkelheit zurück zum Hotel. In einiger Entfernung bummelte der lange, schmächtige Chinese hinter ihnen her. Er registrierte, daß sich Liyun bei Rathenow einhakte und sie über die Straße gingen wie ein Liebespaar. Von hinten sah es jedenfalls so aus.
    »Ich habe auch eine Frage, Liyun«, sagte Rathenow.
    »Bitte …«
    »Sind Sie noch Kommunistin?«
    »Warum nicht? Was soll sich geändert haben? Mit Maos Tod ist eine Epoche zu Ende gegangen, und eine neue hat angefangen. Unsere Idee ist gut, das Beste für China. Warten Sie ab, wie China in zehn Jahren aussieht. Wir haben alle Voraussetzungen, das reichste Land der Erde zu werden. Wir haben alles: vom Reis bis zum Gold, von der Sojabohne bis zum Diamanten. Und unsere Arbeiter sind die fleißigsten der Welt.«
    »Für drei Mark am Tag …«
    »Damit gewinnen wir jeden Wettbewerb. Die ganze Welt wird noch staunen.«
    Sie hatten das Hotel erreicht und standen nun in der Halle.
    »Was unternehmen wir noch?« fragte Rathenow.
    »Wir gehen schlafen. Morgen steht uns die schwerste und gefährlichste Etappe unserer Fahrt bevor. Zu den Mosuos – das ist ein Abenteuer, eine richtige Expedition.«
    »Darauf freue ich mich wahnsinnig. Wenn nur Ying vernünftig fährt.«
    »Das wird er, er will ja auch weiterleben. Er wird morgen wieder eine Flasche Mao Tai trinken.«
    »Wenn ich daran denke, wird mir flau im Magen.«
    »Wir können auch in Zhongdian bleiben. Der Hauptstadt der Mosuos.«
    »Nein, ich will ins Innere des Landes. Zu den Dörfern, in denen die Frauen die Männer regieren. Man kann die Kultur eines Volkes nur im Volk selbst studieren, sonst ist alles lückenhaft. Wer im Volk lebt, versteht es auch.«
    Rathenow reichte Liyun die Hand. Sie nahm sie, zog aber ihre Hand sofort wieder zurück. »Also dann … Gute Nacht, Liyun.«
    Er stieg die Treppe hinauf und wunderte sich, daß Liyun ihm nicht folgte. Sie blieb in der Halle, und als er sich auf der Treppe umdrehte, sah er, daß sie zur Telefonzelle ging.
    Jetzt ruft sie Shen Zhi an. Natürlich. Sie muß ihm noch ein Gutenachtküßchen schicken. Wie schön war es doch gestern nacht. Ich denke immer daran. Nur, wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide …
    Liyun mußte etwas warten, bis sie ihren Vater am Apparat hatte. In dem großen Mietshaus in Kunming gab es nur ein Telefon, und das bewachte der Hausmeister, der in einer Art Wachstube am Eingang des Häuserblocks saß und alles wahrnahm, was in ›seinem‹ Block geschah. Er sah jeden Besucher, er nahm alle Telefongespräche an … dann rief er vor dem Haus die Fassade hinauf: »Genosse Wang! Telefon für dich!« Er blieb auch in der Stube, wenn der Gerufene angerannt kam und zum Telefon griff. Es gibt keine Geheimnisse in einer Hausgemeinschaft.
    Diesmal kam Professor Wang selbst herunter. Der Hausmeister grinste und hielt ihm den Hörer hin.
    »Deine Tochter …«
    »Liyun, mein Kleines«, rief Wang ins Telefon. »Wo bist du jetzt?«
    »In Lijiang, Papa. Morgen fahren wir zum Lugu-See.«
    »Sehr, sehr mutig. Ich mache mir Sorgen.«
    »Nicht nötig, Papa. Ying ist doch bei uns.«
    »Gibt es etwas Besonderes? Warum rufst du

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