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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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abernteten oder mit Büffeln oder Yaks pflügten. Gebeugt gingen sie hinter den Pflügen her, von der schweren Arbeit krumm geworden, während die Männer vor den Häusern oder auf dem Dorfplatz saßen, schwatzten, Ma-Jong spielten oder die Schnapsflasche herumreichten. Auch gesungen wurde, begleitet von Flöten, Trommeln und selbstgebastelten Streichinstrumenten, deren Saiten aus Rinder- oder Schweinesehnen bestanden.
    »Wir sind im Land des Yi-Stammes«, sagte Liyun. »Ein absolutes Männerland, wo nur die Frauen arbeiten. Die anderen Minderheiten nennen die Yi nur ›Zigeuner‹. Wer ein richtiger Mann sein will, muß beim Trinken viel vertragen können und beim Stehlen geschickt wie ein Zauberer sein. Das lieben ihre Frauen.«
    »Ein Volk von Faulpelzen also!«
    »Das ist eben ihre Kultur. Wir Chinesen haben für die Yi ein Schriftzeichen, das unseren Widerwillen ausdrückt. Das Schriftzeichen heißt ›Barbaren‹. Jede Minderheit in China hat ihr eigenes Wesen, und doch sind sie alle im Laufe der Jahrhunderte Chinesen geworden.«
    Das Land der Yi hatten sie schnell durchquert. Nun kamen sie wieder in das Gebirge. Die Straße durchbrach die Felsen, die graubraune Einsamkeit. Dieses völlige Verlorensein legte sich auf das Gemüt. Der Weg schraubte sich immer höher, und Ying hupte und trank seinen Mao Tai, und Rathenow verzieh ihm das Saufen. Er hatte nur noch einen Wunsch: Ying, bitte, bring uns hier raus. Spuck aus dem Fenster, soviel du willst, nur bring uns heil zum Lugu-See.
    Sie fuhren den ganzen Tag durch die gewaltige Landschaft, bis sich vor ihnen ein weites Tal öffnete. Umschlossen von den Bergen grünten hier Pinienwälder, Azaleenbüsche breiteten ihre feuerroten Blüten aus, an den Wegrändern und in den Gärten der Stein- und Holzhäuser leuchteten weiß die Kamelien, und auf den Feldern wuchs die Gerste. Sogar ein paar kleine Reisterrassen gab es, in die Berge geschoben und genährt von Quellwasser, das aus dem Gestein floß. Ganz in der Ferne, seitlich hinter einem Bergkegel, der das weite Tal beherrschte, flimmerte ein silberner Streifen in der Abendsonne.
    Ying hatte hier oben angehalten. Wir haben es geschafft, dachte er. In einer Stunde sitze ich am Tisch und lasse mich mästen. Und so schnell komme ich nicht wieder hierher; wenn es heißt: Ying, fahr zu den Mosuos, bin ich krank.
    Liyun zeigte in die Ferne auf den glitzernden Streifen. »Das ist der Jangtsekiang«, sagte sie. »Hier heißt er noch ›Goldsand-Fluß‹, bevor er in einem großen Bogen das Qinghai-Tibet-Plateau verläßt und als immer breiter werdender Strom nach Südosten fließt. Wir sind jetzt über 3.000 Meter hoch. Spüren Sie die dünnere Luft?«
    »Kaum.« Rathenow atmete die klare Luft ein. Er fühlte sich, als habe er einen großen Schluck Champagner genossen. »Es ist wunderschön hier. Und dieses Land wird von Frauen regiert?«
    »Sie werden Gelegenheit genug bekommen, alles anzusehen.« Sie wies mit dem Arm nach rechts. »Und da ist der Lugu-See.«
    Am Rande der Felder und des Dorfes, umgeben von hohen Pinien und Blütenbüschen, lag der See wie eine blausilberne Scheibe unter der Sonne. Die Kuppe des das Plateau beherrschenden Berges spiegelte sich in seinem Wasser, auf dem ein kleiner, grüner Fleck lag. Eine Insel mit einem weißen Tempelchen, Buddha und der Schutzgöttin der Mosuos geweiht.
    »Dieser Berg wird von den Mosuos ›Berg der Löwin‹ genannt. Er ist der Sitz von Guanyin, der Stammes-Göttin. Sie allein hat die Macht über alles, über Mensch und Natur, und weil sie eine Göttin ist, haben bei den Mosuos die Frauen auch die Macht.«
    »Ein hundertprozentiges Matriarchat.«
    »Ja, noch strenger als der Dongba-Kult der Naxis. Fahren wir ins Tal?«
    »Es werden interessante Tage werden.« Sie stiegen ein, und Rathenow beugte sich zu Liyun vor.
    »Ich danke Ihnen«, sagte er. Seine Stimme war wie ein Streicheln, und sein Blick verwirrte sie.
    »Wofür?«
    »Daß Sie bereit waren, all diese Mühe auf sich zu nehmen, um mir diese Schönheit zu zeigen.«
    »Es war ein Befehl aus Beijing – ich habe ihn nur ausgeführt.« Das klang unpersönlich und abweisend. Rathenow lehnte sich zurück.
    *
    Im Dorf am Ufer des Lugu-Sees war am Tag zuvor ein unbekannter, pockennarbiger Chinese eingetroffen und hatte sich bei einem Bauern einquartiert. Er reiste aus der Kreisstadt Zhongdian an und behauptete, er sei Beamter der Provinzregierung mit dem Auftrag, Vorschläge für die Verbesserung der Infrastruktur für das

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