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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Zeit des Wartens«, sagte Zhi verzweifelt. »Liyun, so können wir doch nicht auseinandergehen! Werde dir klar, was für dein Leben gut ist.«
    »Ich glaube, ich weiß es.« Sie lehnte sich in das Polster zurück. »Zhi, bring mich zurück zum Hotel.«
    »Ich habe zu Hause eine Flasche Sekt kalt gestellt.«
    »Das hast du immer getan, wenn wir uns trafen. Ich weiß, und ich danke dir. Aber heute, bitte, fahr zum Hotel zurück.«
    Zhi hatte genickt und sie wieder in die Stadt gefahren. Als Liyun ausgestiegen war, gab sie ihm noch einen Kuß auf die Wange, nicht mehr auf den Mund. Zhi hielt ihren Kopf mit beiden Händen fest.
    »Ich kann nicht glauben, daß dies das Ende sein soll!« sagte er verzweifelt. »Liyun, du gehörst zu meinem Leben.«
    »Zhi, bitte laß mich los!«
    »Sag mir, daß du mich noch liebst.«
    »Wie kann ich das? Ich weiß es nicht mehr. Ich … ich habe mein Gefühl für dich verloren.«
    »Man kann Verlorenes wiederfinden, wenn man sucht.« Er ließ sie los und legte die Hände aneinander. Wie ein Betender sah er aus. Er tat ihr unendlich leid. Aber sie schüttelte dennoch den Kopf.
    »Ein Gefühl ist nicht wie ein verlegter Ring, den man wiederfinden kann und sich wieder ansteckt. Eine zerbrochene Vase, die man zusammenklebt, ist wieder eine Vase, aber sie ist nicht mehr, was sie früher war. Die Risse bleiben.«
    »Dann sehen wir uns jetzt zum letztenmal?«
    »Vielleicht …«
    »Vielleicht ist Hoffnung. Es ist kein Nein.«
    »Es ist besser für uns beide, wenn der eine für den anderen Vergangenheit ist. Können wir nicht Freunde werden?«
    »Nein!« Es klang endgültig. »Wenn du einen anderen Mann geheiratet hast, will ich dich nicht wiedersehen. Die Qual wäre zu groß für mich. Liyun, warum tust du mir das an?«
    »Ich kann nicht anders, Zhi, ich kann nicht anders. Ich wehre mich ja dagegen, aber ich bin nicht stark genug, mein Herz zu besiegen.« Sie hob die Hand und winkte zaghaft. »Leb wohl, Zhi. Gott und die Ahnen mögen dich beschützen.«
    Er nickte stumm, kurbelte das Fenster hoch und fuhr davon. Als er aus dem Vorhof hinaus auf die Straße bog, konnte er kaum noch etwas sehen und wäre fast mit einem Radtaxi zusammengestoßen. Shen Zhi, der Starke, weinte …
    Daran dachte Liyun jetzt in der stillen, fahlen Nacht, in der die Kammer nur vom Schein des Mondes erhellt wurde. Nebenan war es ruhig geworden. In fünf Tagen ist alles vorbei, dachte sie. In fünf Tagen bringe ich ihn zum Flughafen in Kunming, und er wird zurückfliegen nach München, und ich werde nie mehr etwas von ihm hören. Er wird seine Einladung, mich kommen zu lassen, vergessen, aber er wird immer in mir bleiben, eine Seele neben meiner Seele, eine Liebe, die nie sterben wird. Was wird das für ein Leben werden … leben mit einer unsterblichen Erinnerung, die mich völlig verwandelt hat. Ich werde oft beten müssen …
    Am nächsten Morgen zeichnete Rathenow die uralten Märchen der Mosuos auf, die Liyun ihm übersetzte und auf Tonband sprach. Er fotografierte wieder, ließ sich von einem Fischer hinüberrudern zu der Insel und dem weißen Tempel der Göttin der Barmherzigkeit, den zwei junge Gärtner in Ordnung hielten. Sie waren die einzigen, die ab und zu hierherkamen, sonst gab es nur Schlangen, Blütenbüsche, bunt schillernde Vögel und die vollkommene Stille, die nur ab und zu vom Plätschern des Wassers unterbrochen wurde, das bei einem leichten Windstoß über das Ufer schwappte. Daß Rathenow den Tempel der Göttin Guanyin betreten durfte, war die höchste Auszeichnung und Ehre, die das Volk der Mosuos ihm erweisen konnte.
    *
    Dann kam der Tag der Abreise. Der Abend vorher war zu einem Volksfest geworden. Man hatte mit Wohlwollen gesehen, daß die ›Langnase‹ die Sitten ehrte und sich bemühte, die Welt der Mosuos hinüberzuretten in eine Neuzeit, die alle alten Kulturen vernichtete. In dieser letzten Nacht wurde getanzt und gesungen, musiziert und mit bunten, breiten Bändern an langen Stielen gespielt, die man hoch in die Luft warf und im Fallen zu Figuren formte. Auch Rathenow und Liyun tanzten mit. Sie reihten sich in den Kreis der Mosuos ein, faßten sie an den Händen und hüpften um das große Feuer. Einer der fleißigsten Tänzer war Wen Ying. Er ließ seine vorletzte Flasche Mao Tai kreisen – die letzte war für die höllische Rückfahrt gedacht –, kniff den Mädchen in den Hintern, was sie mit Kichern oder Kreischen belohnten, und trank den ›Solima‹, diesen süßen Wein, das

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