Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
Wind bringt einen würzigen Senfgeruch um die Ecke, und der Fluß wirf plötzlich Silber von unten über die Straße. Die Sonne ist aufgegangen. Scherz niest. «Schwarzkopf ist endgültig geschlagen», sagt er selbstzufrieden.
«Der Präsident hat mir versprochen, daß er nie in den Verein
reingelassen wird.»
«Er kann in einen Verein ehemaliger schwerer Artillerie eintreten», erwidere ich. «Dann wird über seinem Grab mit Kanonen geschossen.»
Scherz zuckt einen Moment nervös mit dem rechten Auge. Dann winkt er ab. «Das sind Witze. Es gibt nur den einen Schützenverein in der Stadt. Nein, Schwarzkopf ist fertig. Ich komme morgen einmal bei Ihnen vorbei, Denkmäler ansehen. Irgendwann muß ich mich ja doch mal entscheiden.»
Er entscheidet sich schon, seit ich im Geschäf bin. Das hat ihm den Namen Brunnenpest eingetragen. Er ist eine ewige Frau Niebuhr und wandert von uns zu Hollmann und Klotz und von da weiter zu Steinmeyer und läßt sich überall alles zeigen und handelt für Stunden und kauf trotzdem nichts. Wir sind solche Typen gewöhnt; es gibt immer wieder Leute, meistens Frauen, die eine sonderbare Lust dabei empfinden, zu Lebzeiten ihren Sarg, ihr Sterbehemd, ihre Grabstätte und ihr Denkmal zu bestellen – aber Herbert hat es darin zur Weltmeisterschaf gebracht. Seine Grabstelle hat er endlich vor sechs Monaten gekauf. Sie ist sandig, hochgelegen, trocken und hat eine schöne Aussicht. Herbert wird langsamer und etwas ordentlicher darin verwesen als in den niedriger gelegenen, feuchten Teilen des Friedhofs, und er ist stolz darauf. Jeden Sonntagnachmittag verbringt er dort mit einer Termosflasche Kaffee, einem Klappsessel und einem Paket Streuselkuchen genießerische Stunden und beobachtet, wie der Efeu wächst. Den Denkmalsaufrag aber läßt er immer noch vor den Mäulern der Grabsteinfirmen pendeln wie ein Reiter die Karotte vor der Schnauze seines Esels. Wir galoppieren, aber wir erwischen sie nie. Herbert kann sich nicht entscheiden. Er hat immer Angst, irgendeine fabelhafe Neuerung zu verpassen, wie elektrische
Klingeln zum Sarg, Telefon oder so was.
Ich sehe ihn voll Abneigung an. Er hat mir die Kanonen rasch heimgezahlt. «Haben Sie irgend etwas Neues hereingekriegt?» fragt er herablassend.
«Nichts, was Sie interessieren könnte – abgesehen von – aber das ist ja bereits so gut wie verkauf», erwidere ich mit der plötzlichen Hellsicht der Rache und des jäh aufflammenden Geschäfssinnes.
Herbert beißt an. «Was?»
«Nichts für Sie. Etwas ganz Großartiges. Und auch so gut wie verkauf.» – «Was?»
«Ein Mausoleum. Ein sehr bedeutendes Kunstobjekt. Schwarzkopf ist äußerst interessiert –»
Scherz lacht. «Haben Sie keinen älteren Verkaufstrick auf Lager?»
«Nein. Nicht bei einem solchen Stück. Es ist eine Art Post-mortem-Klubhaus. Schwarzkopf denkt daran, am Todestage jährlich eine kleine intime Feier darin testamentarisch festzulegen. Das ist dann, als hätte er jedes Jahr eine neue Beerdigung. Der Raum des Mausoleums ist stimmungsvoll dafür, mit Bänken und bunten Scheiben. Man kann auch kleine Erfrischungen nach jeder Feier reichen. Schwer zu übertreffen, was? Eine ewige Gedenkfeier, während kein Mensch die alten Gräber mehr ansieht!»
Scherz lacht weiter, aber gedankenvoller. Ich lasse ihn lachen. Die Sonne wirf gewichtsloses, bleiches Silber vom Fluß zwischen uns. Scherz hört auf. «So, ein solches Mausoleum haben Sie?» sagt er, bereits mit der leichten Sorge des echten Sammlers, der fürchtet, ihm könnte eine große Gelegenheit entgehen.
«Vergessen Sie es! Es ist so gut wie verkauf an Schwarzkopf. Sehen wir lieber die Enten auf dem Fluß an! Was für Farben!»
«Ich mag keine Enten. Schmecken zu muffig. Na, ich komme
mal, mir Ihr Mausoleum anzuschauen.»
«Beeilen Sie sich nicht. Sehen Sie es sich lieber an, wie es in natürlicher Umgebung wirkt – wenn Schwarzkopf es aufgestellt hat.»
Scherz lacht wieder, aber ziemlich hohl jetzt. Ich lache auch. Keiner glaubt dem anderen; aber jeder hat einen Haken geschluckt. Er Schwarzkopf, und ich, daß ich ihn vielleicht diesmal doch erwischen werde.
Ich gehe weiter. Aus dem Altstädter Hof kommt der Geruch von Tabak und abgestandenem Bier. Ich wandere durch das Tor in den Hinterhof der Kneipe. Dort bietet sich ein Bild des Friedens. Die Schnapsleichen vom Samstagabend liegen da in der frühen Sonne. Fliegen summen in den röchelnden
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