Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
einen alten Gasherd, der auf der Kommode steht. «Ich koche dir darauf ein Diner für sechs Personen, wenn’s sein muß. Tschechisch! Du wirst staunen! Dazu holen wir uns Bier vom Faß aus der Kneipe unten. Geht das mit deiner Illusion über die Liebe zusammen? Oder zerbricht der Gedanke an Knoblauch etwas Wertvolles in dir?»
«Nichts», erwidere ich und fühle mich korrumpiert, aber auch so leicht wie lange nicht.
XVI
So eine Überraschung!» sage ich. «Und das am frühen Sonntagmorgen!»
Ich habe geglaubt, einen Räuber in der Dämmerung herumrumoren zu hören; aber als ich herunterkomme, sitzt da, um fünf Uhr früh, Riesenfeld von den Odenwälder Granitwerken. «Sie müssen sich geirrt haben», erkläre ich. «Heute ist der Tag des Herrn. Da arbeitet selbst die Börse nicht. Noch weniger wir schlichten Gottesleugner. Wo brennt es? Brauchen Sie Geld für die Rote Mühle?»
Riesenfeld schüttelt den Kopf. «Einfacher Freundschafsbesuch. Habe einen Tag zwischen Löhne und Hannover. Bin gerade angekommen. Wozu jetzt noch ins Hotel gehen? Kaffee gibt es ja bei Ihnen auch. Was macht die scharmante Dame von drüben? Steht sie früh auf?»
«Aha!» sage ich. «Die Brunst hat Sie also hergetrieben! Gratuliere zu soviel Jugend. Aber Sie haben Pech. Sonntags ist der Ehemann zu Hause. Ein Athlet und Messerwerfer.»
«Ich bin Weltchampion im Messerwerfen», erwidert Riesenfeld ungerührt. «Besonders, wenn ich zum Kaffee etwas Bauernspeck
und einen Korn gehabt habe.»
«Kommen Sie mit nach oben. Meine Bude sieht zwar noch wüst aus, aber ich kann Ihnen dort Kaffee machen. Wenn Sie wollen, können Sie auch Klavier spielen, bis das Wasser kocht.»
Riesenfeld wehrt ab. «Ich bleibe hier. Die Mischung von Hochsommer, Morgenfrühe und Denkmälern gefällt mir. Macht hungrig und lebenslustig. Außerdem steht hier der Schnaps.»
«Ich habe viel besseren oben.»
«Mir genügt dieser.»
«Gut, Herr Riesenfeld, wie Sie wollen!»
«Was schreien Sie so?» fragt Riesenfeld. «Ich bin inzwischen nicht taub geworden.»
«Es ist die Freude, Sie zu sehen, Herr Riesenfeld», erwidere ich noch lauter und lache scheppernd.
Ich kann ihm nicht gut erklären, daß ich hoffe, Georg mit meinem Geschrei zu wecken und ihn darüber zu orientieren, was los ist. Soviel ich weiß, ist der Schlächter Watzek gestern abend zu irgendeiner Tagung der Nationalsozialisten gefahren, und Lisa hat die Gelegenheit benutzt, herüberzukommen, um einmal durchzuschlafen im Arm ihres Geliebten. Riesenfeld sitzt, ohne daß er es weiß, als Wächter vor der Tür zum Schlafzimmer. Lisa kann nur noch durchs Fenster raus.
«Gut, dann hole ich den Kaffee herunter», sage ich, laufe die Treppe hinauf, nehme die «Kritik der reinen Vernunf», schlinge einen Bindfaden darum, lasse sie aus meinem Fenster heraus und pendele damit vor Georgs Fenster. Inzwischen schreibe ich mit Buntstif auf ein Blatt die Warnung: «Riesenfeld im Büro», mache ein Loch in den Zettel und lasse ihn über den Bindfaden auf den Band Kant hinunterflattern. Kant klopf ein paarmal, dann sehe ich von oben Georgs kahlen Kopf. Er macht mir Zeichen. Wir vollführen eine kurze Pantomime. Ich mache ihm mit den Händen klar, daß ich Riesenfeld nicht loswerden kann. Rauswerfen kann ich ihn nicht; dazu ist er zu wichtig für unser tägliches Brot.
Ich ziehe die «Kritik der reinen Vernunf» wieder hoch und lasse meine Flasche Schnaps hinab. Ein schöner, gerundeter Arm greif danach, bevor Georg sie fassen kann, und zieht sie hinein. Wer weiß, wann Riesenfeld verschwindet? Die Liebenden sind inzwischen dem scharfen Morgenhunger nach durchwachter Nacht ausgesetzt. Ich lasse deshalb meine Butter, mein Brot und ein Stück Leberwurst hinunter. Der Bindfaden kommt, mit Lippenstif rot am Ende verschmiert, wieder hoch. Ich höre den seufzenden Laut, mit dem der Kork die Flasche freigibt. Romeo und Julia sind für den Augenblick gerettet.
Als ich Riesenfeld seinen Kaffee präsentiere, sehe ich Heinrich Kroll über den Hof kommen. Der nationale Geschäfsmann hat neben seinen übrigen verwerflichen Eigenschafen auch noch die, früh aufzustehen. Er nennt das: die Brust Gottes freier Natur darzubieten. Unter «Gott» versteht er selbstverständlich nicht ein gütiges Fabelwesen mit einem langen Bart, sondern einen preußischen Feldmarschall.
Bieder schüttelt er Riesenfeld die Hand. Riesenfeld ist nicht übermäßig erfreut. «Lassen Sie
Weitere Kostenlose Bücher