Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
auch durch den Gegensatz zum letzten Mal kommen.
Es hat nachmittags geregnet, und der Garten blinkt von Feuchtigkeit und Sonne. Über der Stadt schwimmen Wolken vor einem reinen, mittelalterlichen Blau, und ganze Fensterfronten sind in Spiegelgalerien verwandelt. Isabelle trägt ein Abendkleid, unbekümmert um die Zeit, aus einem sehr weichen schwarzen Stoff, und ihre goldenen Schuhe. Am rechten Arm hängt eine Kette aus Smaragden – sie muß mehr wert sein als unsere gesamte Firma, einschließlich des Lagers, der Häuser und des Einkommens der nächsten fünf Jahre. Sie hat sie vorher noch nie getragen. Es ist ein Tag der Kostbarkeiten, denke ich. Zuerst der goldene Wilhelm II., und jetzt dieses! Aber die Kette rührt mich nicht.
«Hörst du sie?» fragt Isabelle. «Sie haben getrunken, tief und viel, und nun sind sie ruhig und satt und zufrieden. Sie summen tief, wie Millionen Bienen.»
«Wer?»
«Die Bäume und all die Büsche. Hast du sie gestern nicht schreien gehört, als es so trocken war?»
«Können sie schreien?»
«Natürlich. Kannst du das nicht hören?»
«Nein», sage ich und sehe auf das Armband, das funkelt, als hätte es grüne Augen.
Isabelle lacht. «Ach, Rudolf, du hörst so wenig!» sagt sie zärtlich. «Deine Ohren sind zugewachsen wie Buchsbaumgebüsch. Und dann machst du auch so viel Lärm – deshalb hörst du nichts.»
«Ich mache Lärm? Wieso?»
«Nicht mit Worten. Aber sonst machst du einen furchtbaren
Lärm, Rudolf. Of bist du kaum zu ertragen. Du machst mehr Lärm als die Hortensien, wenn sie durstig sind, und das sind doch wahrhafig mächtige Schreier.»
«Was macht denn Lärm bei mir?»
«Alles. Deine Wünsche. Dein Herz. Deine Unzufriedenheit. Deine Eitelkeit. Deine Unentschlossenheit –»
«Eitelkeit?» sage ich. «Ich bin nicht eitel.»
«Natürlich –»
«Ausgeschlossen!» erwidere ich und weiß, daß es nicht stimmt, was ich sage.
Isabelle küßt mich rasch. «Mach mich nicht müde, Rudolf! Du bist immer so genau mit Namen. Du heißt auch eigentlich nicht Rudolf, wie? Wie heißt du denn?»
«Ludwig», sage ich überrascht. Es ist das erstemal, daß sie mich danach fragt.
«Ja, Ludwig. Bist du deines Namens niemals müde?»
«Das schon. Meiner selber auch.»
Sie nickt, als wäre das das Selbstverständlichste der Welt.
«Dann wechsle ihn doch. Warum willst du nicht Rudolf sein? Oder jemand anders. Reise doch weg. Geh in ein anderes Land. Jeder Name ist eines.»
«Ich heiße nun einmal Ludwig. Was ist da zu ändern? Jeder weiß es hier.»
Sie scheint mich nicht gehört zu haben. «Ich werde auch bald weggehen», sagt sie. «Ich fühle es. Ich bin müde und meiner Müdigkeit müde. Es ist alles schon etwas leer und voll Abschied und Schwermut und Warten.»
Ich sehe sie an und spüre plötzlich eine jähe Angst. Was mag sie meinen? «Ändert sich nicht jeder immerfort?» frage ich.
Sie blickt zur Stadt hinüber. «Das meine ich nicht, Rudolf. Ich glaube, es gibt noch ein anderes Ändern. Ein größeres. Eines, das
wie Sterben ist. Ich glaube, es ist Sterben.»
Sie schüttelt den Kopf, ohne mich anzusehen. «Es riecht überall danach», flüstert sie. «Auch in den Bäumen und im Nebel. Es tropf nachts vom Himmel. Die Schatten sind voll davon. Und in den Gelenken ist die Müdigkeit. Sie hat sich hineingeschlichen. Ich gehe nicht mehr gern, Rudolf. Es war schön mit dir, auch wenn du mich nicht verstanden hast. Du warst doch wenigstens da. Sonst wäre ich ganz allein gewesen.»
Ich weiß nicht, was sie meint. Es ist ein sonderbarer Augenblick. Alles ist auf einmal sehr still, kein Blatt regt sich, nur Isabelles Hand mit den langen Fingern schwingt über den Rand des Korbsessels, und leise klirrt das Armband mit den grünen Steinen. Die untergehende Sonne gibt ihrem Gesicht eine Farbe von solcher Wärme, daß es der Gegensatz von jedem Gedanken an Sterben ist – aber trotzdem ist mir, als breite sich wirklich eine Kühle aus wie eine lautlose Furcht, als könnte es sein, daß Isabelle nicht mehr da wäre, wenn der Wind wieder beginnt – aber dann weht er plötzlich in den Kronen, er rauscht, der Spuk ist vorbei, und Isabelle richtet sich auf und lächelt. «Es gibt viele Wege, zu sterben», sagt sie. «Armer Rudolf! Du kennst nur einen. Glücklicher Rudolf! Komm, laß uns ins Haus gehen.»
«Ich liebe dich sehr», sage ich.
Sie lächelt
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