Der Schwarze Papst
Gefeierte, der Ellenbogen - dieser Mann sollte sich umbringen, sich erhängen ? Und vorher noch die Heilige Schrift durchblättern auf der Suche nach einem passenden Zitat, das auf sein Motiv hinwies? Das passte nicht zu ihm. Das war nicht der Luis, den Sandro kannte.
Warum brachten schuldbeladene Menschen sich um? Aus Angst vor Entdeckung, oder weil sie erpresst wurden oder weil ihr schlechtes Gewissen sie in die Verzweiflung trieb. Luis hatte wenig zu fürchten. Er hätte mit Hilfe seiner hervorragenden Beziehungen gegen jedwede Anschuldigung gekämpft, und das mit guten Aussichten auf Erfolg. Was immer man ihm vorgeworfen hätte und so stichhaltig der Vorwurf gewesen wäre - seine Unterstützer hätten dafür gesorgt, dass es dem Ankläger schlechter ergangen wäre als dem Angeklagten. Hinter den Kulissen hätte Luis unter Tränen und Gelöbnissen einen Kniefall gemacht, und die Sache wäre für ihn erledigt gewesen.
Was die Möglichkeit einer Erpressung anging: Luis hätte eher den Erpresser umgebracht als sich selbst.
Und um ein schlechtes Gewissen zu haben, musste man zunächst einmal überhaupt ein Gewissen haben, und woher hätte Luis es auf die Schnelle herbekommen sollen? So etwas zu denken, war nicht schön, aber um Luis war es nicht schade, und Sandro heuchelte auch keine Trauer.
Drei Dinge machte Sandro sich in diesem Moment klar. Erstens: Luis war tot. Zweitens: Es gab keinen Grund, sich darüber zu grämen, und keinen, sich darüber zu freuen. Was an schlechten Gefühlen zwischen ihnen vorhanden gewesen war,
war mit Luis gestorben. Drittens: Luis war ermordet worden. Und Sandro klärte Morde auf. Auch den Mord an Luis.
»Keiner hat daran gedacht«, sagte Angelo.
»Woran?«
»An den Becher auf dem Pult, Exzellenz. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, fällt mir ein, dass da tatsächlich ein Becher gestanden und Johannes daraus getrunken hatte, kaum dass er ans Pult getreten war. Wenn Luis de Soto also eine extrem hohe Dosis ins Wasser getan hätte …«
»Hat er nicht.«
»Mit Verlaub, auf dem Zettel steht etwas anderes.«
»Mit Verlaub, auf dem Zettel steht nicht: ›Ich habe Gift in den Wasserbecher auf dem Lesepult getan‹, sondern: ›Das Gift befand sich im Wasserbecher auf dem Lesepult‹. Den zweiten Satz hätte genauso gut ich schreiben können, wäre ich auf die Idee mit dem Wasserbecher gekommen.«
»Ihr meint, Luis de Soto hat eigene Ermittlungen angestellt?«
»Möglich wär’s.«
»Wieso sollte er das tun?«
»Um mir eins auszuwischen zum Beispiel. Wir hatten noch eine Rechnung offen. Auf dem Konzil von Trient habe ich und nicht er die Mordserie an Bischöfen aufgeklärt. Einen de Soto ärgert das.«
Angelo räumte mit einer Geste ein, dass Sandro recht haben könnte. »Trotzdem ist der Zettel höchst interessant, auch wenn er kein Schuldeingeständnis darstellt. Nachdem Doktor Pinetto festgestellt hat, dass kein Gift im Essen oder in den Getränken an Donaustaufs Platz war, haben wir uns auf die Stunde zwischen fünf und sechs Uhr konzentriert. Nun stellt sich heraus, dass das Gift im Wasserbecher auf dem Pult war, und wir müssen herausfinden, wer ihn dort platziert hat beziehungsweise wer Gelegenheit gehabt hätte, das Wasser zu vergiften.«
Sandro nickte. »Finde es heraus.«
»Ich?«
»Ja, wieso nicht? Als offizieller Assistent des Visitators Seiner Heiligkeit.«
»Als … Ihr scherzt.«
»Mein Humor hält sich im Angesicht einer Galgenleiche in Grenzen. Hab ich’s dir gestern nicht versprochen?«
»Schon, aber ich dachte, das sei nur so dahingesagt gewesen.«
»Na, du hast ja eine hohe Meinung von dem, was ich sage. Ich habe den Papst gefragt, und er hat zugestimmt. Doppelter Lohn fürs Erste. Später mehr, wenn du dich bewährt hast.«
»Diese Ehre, Assistent des Visitators Seiner Heiligkeit zu sein - danke, vielen Dank. Ihr seid - Ihr seid unübertroffen.«
»Ich bin nur schnell. Forli ist drauf und dran, dich mir wegzuschnappen. So, gefeiert wird ein andermal. Deine Delinquenten warten. Aber zieh dir ein bisschen mehr an, bitte. Ein Beamter des Vatikans mit freiem Oberkörper - das könnte man als Anspielung verstehen oder, noch schlimmer, als neue Mode ernst nehmen.«
»Und was macht Ihr?«
»Ich bleibe ebenfalls angezogen.«
»Sagtet Ihr nicht, im Angesicht einer Leiche wären Scherze unangemessen?«
»Das ist kein Scherz. Ich bleibe wirklich angezogen.«
Angelo schnitt eine Grimasse, dann lächelte er und verließ den Raum.
Sandro trat hinter den
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