Der Schwarze Papst
Nacht für Nacht von anderen Männern besprungen wurden. Er hatte durch die dünnen Wände des Hauses die Lust hören müssen, die Schreie, die Beschimpfungen, die Erniedrigung und so manchen Schlag. Mit dreizehn Jahren schließlich war er Teil des Inventars gewesen und hatte erste Aufgaben übernommen. Natürlich war das Teatro immer auch ein Zuhause gewesen, zugleich aber eines, das ihn anwiderte; so manche Hure war eine Freundin geworden, aber eine, die ihm und der er gleichgültig war; so mancher »ehrenwerte« Gast war zum Geschäftspartner für ihn geworden, aber einer, der ihn und den er verachtete. Das Teatro war eine Schule der Heuchelei, des Betrugs, der Geringschätzung und der niedrigen Gesinnung gewesen.
Milo gelangte auf das Dach des Teatro , indem er die Ruine des Marcellus-Theaters hinaufkletterte. Von dort war es nur noch ein Sprung. Auf allen vieren bewegte er sich vorsichtig und geschmeidig über das Dach. Dort, wo unterhalb von ihm das geöffnete Fenster seiner Mutter lag, kletterte er über den Rand des Daches und landete auf dem Sims des Fensters. Im nächsten Moment befand er sich im Zimmer seiner Mutter.
Er war sich nicht sicher gewesen, ob er sie dort antreffen würde. Eigentlich saß sie zu dieser Stunde bereits im Arbeitszimmer über ihren Büchern, doch heute, an so einem Tag, an dem nach dem Sohn gefahndet wurde … Sie hatte sich offenbar nicht davon beirren lassen, und im Grunde war es ihm lieber so.
Das Haus schlief noch. Die Huren hatten erst vor vier, fünf Stunden, beim ersten Morgengrauen, den letzten Kunden verabschiedet oder waren neben ihm eingeschlummert. Auf seinem Weg in die Küche begegnete Milo niemandem. Er holte sich Zündstein und Lampenöl, ging wieder nach oben und verteilte
das Öl in seinem Zimmer und im Zimmer daneben, dem seiner Mutter. Dann entzündete er es.
Milo vergeudete keine Zeit damit, sein Werk zu betrach - ten. Er kletterte auf demselben Weg zurück, den er gekommen war, wobei er sich nicht sicher gewesen war, ob er die Kraft und das Geschick hätte, sich vom Fenster auf das Dach zu ziehen. Als er die Ruinen des Marcellus-Theaters hinabstieg, stand bereits das oberste Stockwerk des Teatro in Flammen. Er hörte die Rufe. Und dann sah er, wieder gut verborgen, die Huren aus dem Haus rennen, darunter auch seine Mutter. Fassungslos schauten sie zu, wie das bekannteste Hurenhaus Roms vollständig vom Feuer erfasst wurde.
Niemand kam in den Flammen ums Leben. Gut so, dachte er. Genug der Opfer. Nur ein Letztes noch, das musste sein.
Als sein Privatsekretär durfte Sandro den Papst zu jeder Zeit und bei nahezu jeder Beschäftigung stören, ob er nun schlief, aß, hohe Gäste empfing, sich bei Mummenschanz vor Lachen schüttelte, mit Bauchschmerzen auf dem Krankenlager lag, vor Trunkenheit nicht mehr gerade gehen konnte … Außer auf der Latrine und im Liebesbett hatte Sandro den Heiligen Vater schon in jeder Situation aufgesucht, und so war es auch nichts Neues für ihn, Julius in einem Waschzuber sitzen zu sehen. Ein Diener holte unentwegt frisches, warmes Wasser, während ein zweiter Julius’ Rücken und Schultern schrubbte.
Sandro fand, dass der Bischof von Rom und Stellvertreter Christi, wenn man ihn ohne Gewänder sah, einfach nur ein dicker nackter Mann war, der ohne Hilfe nicht mehr aus dem Zuber herauskäme. Das hätte er natürlich nie ausgesprochen, aber ein feines Lächeln konnte er sich nicht verkneifen.
»Sandro, schön dich zu sehen. Du lächelst, also hast du gute Laune?«
»Es geht so, Eure Heiligkeit.«
»Gibt es etwas Neues von diesem - wie hieß er noch gleich?«
»Milo, Eure Heiligkeit. Nein, leider nicht, seit er gestern versucht hat, durch die Porta San Paolo zu gelangen. Er hat eine Wache getötet, und eine unbeteiligte Frau ringt noch mit dem Leben. Wir kriegen ihn. Irgendwann kriegen wir ihn.«
»Lieber Sandro, Rom ist ein Ameisenhaufen. Dein Mörder könnte sich monatelang versteckt halten, aber wir können nicht monatelang Stadtwache und Schweizergarde in höchster Bereitschaft halten. Diese peniblen Kontrollen … An den Toren werden sich allmorgendlich die Wagen stauen. Ich bin kein Wahrsager, wenn ich dir prophezeie, dass heute Mittag die ersten Gilden protestieren werden. In drei Tagen musst du deinen Verbrecher gefasst haben, ansonsten hast du Pech gehabt. Ich kann nicht das Wohl der - nach Jerusalem - bedeutendsten Stadt der Welt wegen eines einzelnen Mörders gefährden. Das siehst du doch ein.«
Sandro sah
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